Schweigende Niederlage?

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Nur wenige werden sich heute vorstellen können, daß bis vor etwa drei Jahrzehnten die Gepäckkontrolle oder gar die Leibesvisitation in den Flughäfen unbekannt waren. Überfälle während des Fluges gab es bis dahin nicht, das Wort Highjacking war neu. Langsam erst wurden die jeweils mindestens 40 Minuten Zeitverlust vor dem Einsteigen zu jener Selbstverständlichkeit, die sie nun ist. Bis dahin war die Empfindlichkeit des Fluges tabu. Wie viele Jugendliche machen noch in Autobus und Straßenbahn ihren Platz frei für alte Menschen, wie viele junge Leute bleiben noch ernst bei dem Satz "Ehret das Alter"? Diese Beispiele zeigen die Spannweite der Verwandlung, die oft weniger deutlich bemerkbar, aber substantiell sehr wirksam stattgefunden hat. Die Selbstverständlichkeiten haben sich verändert, sie sind verschwunden oder mutierten teilweise ins Gegenteil. Was Verbrechen oder schlicht unmöglich war, wurde Abenteuer und "echte Chance", ja politisches Verdienst, was Respekt war, kehrte sich um in Verhöhnung und Aggression.

Die Ursachen sind leicht erkennbar, wenn man erst nur einmal in dieser Hinsicht aufmerksam wurde: das gesamte Zeitmilieu, die Lebensstimmung haben sich verändert. Die Familien, die Elternhäuser, die Kindergärten, Schulen, Universitäten lassen sich mit den einstigen kaum mehr vergleichen. Das Verhältnis der Generationen lud sich mit offener Gereiztheit, ja Feindseligkeit auf, mündete geradezu in eine Tribunalisierung, wobei die Älteren die Angeklagten, die Jungen die Richter waren - und sind. Gründe finden sich ohne Zahl: die Kriegsschuld der Eltern (natürlich hatten Kinder und junge Menschen noch wenig Gelegenheit, schuldig zu werden), Multikulturalität, Wertpluralismus, Globalisierung, das alles liefert die Motive zu jenem Zustand, in dem wir uns heute befinden. Philosophen wie Jacques Derrida, Paul Feyerabend ("Anything goes") und viele andere lieferten die moralische Enthemmung - als neue und alles umfassende Selbstverständlichkeit. Warum verschwanden die humanen, lebensschonenden Voraussetzungen? Weil die großen Beispiele ausstarben wie Albert Schweitzer? Immerhin, Mutter Teresa ist noch nahe, Frere Roger in Taize, auch Viktor Frankl waren und sind eine moralische Instanz, seine Bücher bleiben es. Nein, Schuld tragen alle, die passiv zusehen.

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