Sprung aus der Trostlosigkeit

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Georg Payr meldet sich nach sieben Jahren literarisch zurück.

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Georg Payr meldet sich nach sieben Jahren literarisch zurück.

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Ein Student springt von der Brücke in das trockene Flußbett seines Heimatortes. Aus welchem Grund, weiß niemand zu sagen. In Seitenstächen, der fiktiven Kleinstadt irgendwo im österreichischen Alpenvorland, überfordert der Sprung die Bewohner ganz gehörig, denn im bierseligen Dunst dieser Kleinstadt kommen solche Sachen nicht vor, sind Selbstmorde im Jahresablauf, der sich am Zyklus des Hopfens und an den Firmenaktivitäten der dort ansässigen Bierbrauerei orientiert, nicht vorgesehen. Albert Mikuz, der junge Student, ist eine einsame Figur in seinem Heimatort.

Im Wirtshaus sitzen die richtigen Seitenstächer, im gespenstischen Fernsehblau der Eigenheime die richtigen Seitenstächerinnen. Jenseits dieser beiden Orte gibt es, abgesehen von der Bierbrauerei, noch den dazugehörenden Bierkistenturm, der zugleich Spielort der Kinder und Treffpunkt der Jugendlichen von Seitenstächen ist. Unfälle kommen auch hier vor. Werden sie überlebt, sorgt die Brauerei für das weitere Auskommen. Mehr gibt es von Seitenstächen nicht zu berichten.

Trist gestaltet sich Georg Payrs neuer Roman. Seine Hauptfigur Albert ist genauso ein Irrläufer, wie seine Mitbewohner trostlose Aussitzer hoffnungsloser Lebensläufe sind. Einzig in der gewählten Sprache scheint Hoffnung auf Änderung zu liegen. Sarkastisch, teils auch humorvoll wandern Payrs Blicke durch Seitenstächen, in dem, wie Payr festhält, der Prozeß kleinstädtischen Verwesens nur durch die Aufenthalte beim Seitenstächenerwirt unterbrochen wird.

In Seitenstächen ist nichts aus dem Bilderbuch, die Bewohner genauso wenig, wie das bewohnte Ensemble. Anstelle des Hauptplatzes gibt es das immer menschenvolle Gasthaus, anstelle der Kirche den besagten Bierkistenturm, anstelle des Redens die drangsalierende Beobachtung. Was Payr sieht, gerät ihm meist zur tragischen Farce vertaner Lebensmöglichkeiten. Da ist etwa Frau Mertz, die in ihrer sogenannten Villa ein bürgerliches und zugleich kunstsinniges Leben zu führen versucht. Spielt sie des Abends am Klavier, entflieht sie ihrer Ehe wie auch ihrem kunstlosen Heimatort. Dafür werden ihre Erinnerungen an eine fehlgeschlagene Pianistinnen-Karriere wach. Albert, mit dem sie eine zarte mütterliche Liebe verbindet, ist ihr einziger Zuhörer. Der Ehemann sitzt derweil bei den richtigen Seitenstächern.

Weitere Figuren kommen vor. Etwa die Brauereifahrer, die Albert, sobald feststeht, daß er in der großen Stadt das Gymnasium besuchen wird, tagaus, tagein mitnehmen. Während sich die halbtrunkenen Fahrer nach der Arbeit vergnügen, ersitzt sich Albert die Schule. Anschluß findet er dort kaum, zu sehr sitzt ihm die elterliche Kleinmacherei auf dem Kehlkopf. Das Ventil findet sich in seiner Phantasie, der er sich während seiner Entdeckungsreisen durch die große Stadt anvertraut. Die kleinen Abenteuer, die er dabei erlebt, bleiben so durchsichtig, wie es Gedankenbilder zu eigen ist. Von Sprachlosigkeit ist auch Alberts Suche nach dem ersten wirklichen Kuß begleitet. Kurz bevor er von der Brücke springt, sitzt er mit Barbara, von der er sich eigentlich diesen ersten Kuß erwartet, allein in einem Zimmer. Dem gemeinsamen Musikhören folgt aber nichts. Albert springt ungeküßt in die Tiefe.

Selten wurde in letzter Zeit das Leben jenseits der Großstadt dermaßen nüchtern und lakonisch beschrieben wie in diesem Roman. Die Demaskierung kleinstädtischer Idylle ist dabei aber gar nicht das tragende Moment, vielmehr gelingt es Payr, einen Zustand des Zusammenlebens zu erschreiben, dessen fürchterliche Lebensfähigkeit gar nicht unwahrscheinlich ist. Karg im Ton, sparsam in der Wortwahl, läßt der Autor, der sich nach siebenjähriger Pause literarisch wieder zurückmeldet, die Möglichkeiten einer verbindlich gehaltenen Prosa einfach verdampfen. Eine Sprache wie ein ausgetrocknetes Flußbett eben.

Vom Drücken des Schuhs. Roman von Georg Payr. Haymon Verlag, Innsbruck 1999, 155 Seiten, geb., öS 128,- / E 90,30

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