Talwärts ins Paradies

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Christoph Marthalers schwarze Komödie "Platz Mangel" bei den Wiener Festwochen. Ein höllisches Vergnügen.

Bye bye friends, we have to go, it's the end of our show", singt die brav aufgereihte Upperclass, Gitarre, Ukulele und andere Saiteninstrumente zupfend, eine Schweizer Schlagerschnulze aus vergangenen Tagen. Man hat sich hier versammelt, um die Einweihung von Dr. Dr. Bläsis Höhen- und Tiefenklinik zu begehen. Alles ist frisch gestrichen und tipp-topp geputzt in dieser zum Sanatorium oder Wellnesshotel umgebauten Seilbahnstation (Bühne: Frieda Schneider). Es ist ganz typisch, womit Christoph Marthaler seine - an Schweizer Reminiszenzen so reiche - Inszenierung beginnen lässt, und es ist auch schon mehr. Der eigenwilligen Logik fast aller Marthaler'schen Arbeiten folgend markiert dieser Anfang gleichzeitig ein Ende. Was folgt, ist eine Handlung im Stillstand.

Kaum nämlich hat man ausgesungen, entkleidet ein sachlich grob zu Werke gehender Pfleger die noble Partygesellschaft ihres äußerlichen Prunks: Keine Pelzmäntel, Schmuck oder teuren Uhren, weder Haarersatzteile, noch falsche Wimpern oder Schnauzbärte sind vonnöten, denn hier im chicen Sanatorium hoch über den Wolken ist man mehr an den inneren Werten interessiert. Da man aber in der Schweiz ist, meint man damit weniger die Seele, sondern schon etwas, was sich zu Geld machen lässt. Hinter den blutroten Duschvorhängen werden die lebenden Ersatzteillager geräuschvoll auf den Zustand ihrer "inneren Werte" geprüft. Während der schmierige Animateur mit Falsettstimme und Keyboard die immer gleichen Schlager trällert, damit den Todgeweihten vor ihrer letzten Reise nicht bange werde, ist aus der einst gepflegten Bourgeoisie längst ein verängstigtes, somnambules Bademantelvölkchen geworden. Vor den letzten Dingen sind eben alle gleich.

"Bleiben Sie fettarm, halten Sie ihre Organe elastisch", werden die Wartenden ermahnt, was einer von ihnen zu einer Tirade über Fett veranlasst: Wir sind alle fettgesteuert, von Fettunterwanderung, von Roger Fetterer und Wiener Fettwochen ist da die Rede.

In leiser Verzweiflung sucht jeder doch noch den Ausweg ins Paradies. Wenn schon die Fahrt mit der Gondel talwärts oder die Flucht mit Stöckelschuhen über das Gebirge nicht gelingen will, so erhoffen sie wenigsten metaphysischen Beistand. In einer Situation, die eher an ein Geschäft an einem Bankschalter erinnert, fertigt Herr Zengel Gabriel alle mit der gleichen Phrase ab: "Der, welcher uns richten wird, ist der gleiche, der uns auch geschaffen hat." Keine Erlösung, kein Trost nirgends, auch die Religion ist nur noch ein Geschäft, scheint Marthaler sagen zu wollen. Vom Himmel lässt sich nur noch singen: am schönsten Bach, Schubert, Mahler. Daher singen sie (Rafael Clamer, Catriona Guggenbühl, Ueli Jäggi, Jürg Kienberger, Katja Kolm, Bernhard Landau, Josef Ostenhof, Clemens Sienknecht, Bettina Stucky) - und wie bitter schön! - "Unendliche Freude durchwelkt das Herz", allein man kann es nicht so recht glauben.

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