Der Fall Niekisch

Eine ganz strenge und zugleich ganz merkwürdige Dokumentation über ein deutsches Schicksal bringt Joseph E. Drexel im Kiepenheuer- Verlag unter dem Titel „Der Fall Niekisch“ heraus. Die Akten und Schriftsätze eines Wiedergutmachungsanspruches werden zu einem Michael-Kohlhaas-Prozeß unseres Jahrhunderts. Der geistige Führer des deutschen Nationalkommunismus, der unter Hitler acht Jahre im Kerker saß, bestreitet, daß ihm sein gesetzlicher Wiedergutmachungsanspruch vorenthalten werden dürfe, weil er nach der Gründung des Zonenstaates in ihm politische Funktionen übernommen hatte. Über dem Rechtsstreit scheint aber das Gefühl dafür, was das Schicksal des heute Fünfundsiebzig- jährigen für die deutsche Geistesgeschichte bedeutet, fast verloren zu gehen. Sonst müßte es die Bonner Bundesrepublik als ihr stärkstes Argument erkennen, daß der Mann, der einst mit Spengler und Jünger und Moeller van den Bruck am leidenschaftlichsten auf eine künftige deutsche Einheit von „Preußentum und Sozialismus“ gehofft und eben den Blick nach Osten gerichtet hatte, diese Tradition des deutschen Denkens nicht in den Staat Walter Ulbrichts einbringt, sondern sich von West-Berlin aus an die Bundesrepublik wendet.