Ungarn 1968 und das Elend

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Der ungarische Schriftsteller Ferenc Barnás wurde in einige Sprachen übersetzt und für seine Werke mehrfach ausgezeichnet. Im deutschsprachigen Raum ist er noch zu entdecken. Geboren wurde er 1959 in Debrecen und studierte in seiner Heimatstadt, in Budapest und München. Er absolvierte das Studium der Literatur und Ästhetik und dissertierte über das Weltbild Hermann Hesses.

Sein nun ins Deutsche übersetzter Roman "Der Neunte" hatte bei den ungarischen Kritikern großen Erfolg und erschien bereits 2009 in englischer Sprache, worauf er in den USA mit dem Three-Percent-Preis ausgezeichnet wurde. Der Roman ist eine erschütternde Beschreibung des Elends in der Kádár-Ära, als viele Ungarn zu Opportunisten und Komplizen der Macht wurden.

Der Erzähler ist ein neunjähriger Junge, das neunte Kind einer gläubigen katholischen Familie, die in tiefer Armut auf kaum zwanzig Quadratmetern zusammenlebt. Der Roman spielt im Jahr 1968, in einer Zeit voller Lügen und Zwang. Berichtet wird über die Geschehnisse in einem Zeitraum von etwas mehr als einem Jahr, in dem der Junge ständig um das nötige Essen, um Kleidung und einen Schlafplatz bettelt.

Abgründigkeit des Unausgesprochenen

Den Rahmen bildet der Kampf des Vaters, eines ehemaligen Offiziers, der heimlich mit Rosenkränzen handelt, und der Mutter, die mit einer verschrobenen Spiritualität die Familie zusammenhält. Außer den Eltern gibt es noch den mit Sündengrafiken hantierenden Pfarrer, den dichtenden Redakteur einer katholischen Zeitung, die gut riechende Lehrerin und die Mitschüler.

"Der Neunte" ist die ergreifende Geschichte einer facettenreichen Familie in absoluter Armut. Die Gestalt des namenlosen Helden stellt ein sinnliches Zeugnis osteuropäischer Daseinskämpfe dar. Der Roman enthüllt das Gewebe seelischer und physischer Gewalt mit einer verhaltenen Poesie voller Schmerz und untergründiger Sehnsucht.

Der Autor beschwört in einer eigenartig klaren, kindlichen Sprache die bedrückende Atmosphäre dieses Lebens, das grausame Nichts in Familie und Schule, das quälende Elend voller Hunger, Entbehrung und Scham.

Der Leser wird unmittelbar in die Traumata dieser Kindheit, in das Schuldbewusstsein und den Alltag dieser Zeit hineingerissen. Die Sprachkunst des Autors verweist mit seinen kargen Worten auf die Abgründe des Unausgesprochenen.

Der Neunte

Roman von Ferenc Barnás

Übers. von Eva Zador

Nischen Verlag 2015

223 S., geb. € 21,00

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