Unterhaltsames Nachdenken und Lernen

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Eine ebenso stringente wie faszinierende Spurensuche von Joël Pommerat ist in den Linzer Kammerspielen zu sehen: "Kreise/Visionen“ ("Cercles/Fictions“). Die eigentlich sozialpsychologischen Handlungsstränge bestehen in einer Art "Parforceritt“ durch acht Jahrhunderte unseres alten Europas. Die Aristokratin 2 (Katharina Vötter) aus 1901 meint "Selbstbestimmtheit“, wenn sie sagt: "Heutzutage hat jeder die Möglichkeit, sich in seiner eigenen Existenz voll und ganz zu verwirklichen.“ Fragt der Autor etwa: "War früher doch alles besser? Zeigt sich doch bei genauer Betrachtung, dass die Probleme früherer Zeiten in unserer Weltgegend so weit weg von den unsren nicht sind. Oder warum berühren uns die Märchen noch immer?“ Eine mögliche Antwort wäre: Es liegt wohl an unserem kollektiven Bewusstsein. Pommerat jagt uns durch einen Kosmos, der sich seit 1360 bis heute spannt und den wir erstaunt als den unseren erkennen.

Willert folgt Pommerats kreuz und quer gelegten Spuren mit seinem Zehn-Personen-Ensemble (vier Damen und sechs Herren), das wir mit wachsender Begeisterung bei ihrem hingebungsvollen Spiel beobachten können, umso mehr, als die Bühne, ein von vielen Gucklöchern perforierter Zylinder, in dem zahlreiche Ballons an Schnüren ihr poesievolles Wesen treiben, den Betrachter in ihr luftiges Reich einzuladen scheinen. (Licht: Helmut Janacs).

Großartige Ensembleleistung

Die erste Geschichte führt ins Jahr 1914 - Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit wurde bereits als Menschenrecht erachtet -, als es möglich wurde, dass Der Aristokrat (Lutz Zeidler) und Die Erste Dienstbotin (Jenny Weichert) frei miteinander sprechen konnten. In der zweiten Geschichte, 1901, gibt es außer Der Aristokratin und vielleicht dem Butler (Thomas Kasten) nur einfache Menschen. Heute: Man beginnt zu denken, dass man endlich das Glück gepachtet habe. Und so weiter. Irrtum. Nur das Unendlichkeitsspiel setzt sich fort, denn "das Glück ist immer noch ein Vogerl“ … Drei Conferenciers, Lutz Zeidler, Joachim Rathke und Björn Büchner, sowie Die tanzende Frau (Bettina Buchholz) liefern dazu eine köstliche Szene. In der fünften Geschichte, 1370, lernen wir Peter Pertusini als spanischen "Groß-Ritter“ kennen, und auch das Jahr 2005 ist uns nicht mehr fremd; und die siebente Geschichte, 2007, mit ihren vielen Arbeitslosen und Obdachlosen ist uns leider schon vertraut.

In der achten Episode, 2009, geht es bereits ums Geschäft. Da begegnen wir einem tüchtigen Vertreter, einem Verkäufer von Glück (zum Schief-Lachen überzeugend: Joachim Rathke) und einer melancholischen Frau, die aber auch zu lachen beginnt! Alles in allem, ein Stück zum Nachdenken, zum Lernen und zur Unterhaltung. Eine großartige Ensembleleistung, zu der "Fadi“ Dorninger die Geräuscheffekte, aber auch die Musik(begleitung) zu den Chansons lieferte. Abschließend sei Rathke als Glücksverkäufer erwähnt, der sich als Nachfahre spanischer Ritter für die Wiedereinführung ritterlicher Tugenden stark macht: Treue, Mut, Haltung, Nächstenliebe, Höflichkeit. Schlecht?

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