Verführung als Gewalt

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Zwei Premieren in Linz.

In den Kammerspielen: Regisseur Erich Sidler und Dramaturg Franz Huber präsentierten "Emilia Galotti" in einer neuen, bestechenden Fassung: Lessings Vorlage wird als Tragödie der Verführung und Verführbarkeit, die Hauptfiguren werden als Täter und Opfer zugleich interpretiert. Zitat Emilia: "Verführung ist die wahre Gewalt". Die Autoren haben Lessings Text zerlegt und neu zusammengesetzt. Auch die laufend rotierende Drehbühne als einheitlicher Spielort, eine geradezu sportliche Herausforderung für die Darsteller, hat ihre Logik. Der zeitgeistigen Personenführung Sidlers konnte ich jedoch nicht folgen. Während Vasilij Sotke als kaltschnäuziger Kammerherr Marinelli und Sabine Martin als die in ihrem Stolz verletzte Gräfin Orsina souverän und sprechtechnisch herausragend zu agieren vermochten, blieben den weiteren Darstellerinnen und Darstellern kaum Möglichkeiten einer überzeugenden oder gar anrührenden Rollengestaltung. Aus den Figuren des Prinzen (Christoph Rath) und der Mutter Emilias (Silvia Glogner) machte die Regie geradezu lächerliche Karikaturen. Der politische Aspekt des Trauerspiels wurde in der Linzer Fassung ausgeklammert.

Im "Eisenhand" des Landestheaters zeigte Christian Wittmann, wie man intelligent und ohne Schick-Schnack zeitgemäß inszenieren kann: In dem minimalistischen Drei-Personen-Werkchen "In weiter Ferne" (Far Away), einem Orwellschen Aufguss mit drei fragmentarischen Szenen von Caryl Churchill, einer österreichischen Erstaufführung, geht es auch um Gewalt, allerdings in der brutalst möglichen und die Menschheit global bedrohenden Form. "In jedem Fall umspült einem das Wasser die Knöchel ...", sagt Joan am Ende von Teil III. In Teil I ist Joan noch ein kleines Mädchen, das nachts Schlimmes gehört und gesehen hat: Schreie von Menschen, darunter Kinder; Schläge, auch von ihrem Onkel, und viel Blut. In Teil II arbeitet sie als begabte Modistin in einer Hutmanufaktur. Gemeinsam mit dem erfahrenen Kollegen Todd stellt sie extravagante Hüte her, die von Gefangenen auf dem Weg zur Exekution, "Paraden" genannt, getragen und mit diesen verbrannt werden. "Schade um die Hüte", meint Todd.

Die klug gestaltete Bühne von Frank Kaster erlaubt die unverkrampfte Erzählung der Horror-Geschichte, und die drei Darsteller liefern sie zurückhaltend und im natürlichsten Ton der Welt ab und erzielen gerade dadurch große Wirkung. Die Inszenierung ist eindringlicher als der Text.

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