Vergleiche verbieten?

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Dass Ursula Stenzel in Brüssel "Österreich stark vertreten" wird, nämlich stärker als bisher, glaube ich ebensowenig wie ich Herrn Kronberger von der FPÖ ("Die Türkei in die EU? Ohne mich!") die Rolle des Staatenlenkers abnehme. Aber abgesehen von den komischen rhetorischen Muskelspielen aller Parteien war im EU-Wahlkampf etwas bemerkenswert: Stenzel hat sich zum US-Folterskandal geäußert, und alle sind über sie hergefallen. Sie sagte: "Wir sehen, wie leicht es geht und wie die Zivilisation [...] keinerlei Schutzschild davor bietet, dass man in Charaktereigenschaften fallen kann, in bestimmten Extremsituationen, die den KZ-Schergen um nichts nachstehen."

Was ist daran schlimm? Der Vergleich. Der SPler Swoboda (dem eingefallen ist, dass Österreich "wieder mehr gehört werden" soll) sagt: "Solche Vergleiche verbieten sich" - am liebsten würde er sie wohl gleich selbst verbieten. Und der Grüne Voggenhuber, der als gewendeter EU-Musterschüler jetzt "europäische Interessen" (welche?) in Brüssel vertreten will, spricht von "abstrusen Verharmlosungen, historischer Bewusstlosigkeit" und "leichtfertiger Entschuldigung für die US-Befehlstrukturen". Das ist nun wirklich abstrus. Stenzel hat nicht die Folterungen der Army mit dem Holocaust verglichen, sondern individuelle sadistische Neigungen, die von jeder militärischen "Befehlsstruktur" begünstigt werden, die Rechtsbrüche toleriert oder gar fordert. Stenzel hat das NS-Vergleichstabu verletzt, das zur politischen Allzweckwaffe geworden ist und einem Denkfehler entspringt: Denn um festzuhalten, dass der Judenmord einzigartig war, muss ich ja vergleichen dürfen.

Eine der wenigen Aussagen von Substanz ist so im Empörungsreflex der Wahlkämpfer untergegangen.

Die Autorin ist Germanistin und Literaturkritikerin in Wien.

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