Verkürztes und FALSCHES

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Um auf den "Leserbrief" Josef Aichers zu antworten, muss ich ein wenig die Vorgeschichte zu meinem Dokumentarfilm "Let' s keep it" skizzieren: Aufgrund von Vermutungen, dass ich vorhätte, einen extrem einseitigen Film über die Arbeit der Schiedsinstanz zu machen, musste ich mich eineinhalb Jahre lang bemühen, einen Interview-Termin bei Aicher zu bekommen. Das Interview konnte schließlich nur stattfinden, weil ich meine Fragen vorher schriftlich vorlegte. Ich habe mich darauf eingelassen, weil ich eben keinen einseitigen Film machen wollte.

Ich habe auch den Rohschnitt von "Let's keep it" den Mitgliedern der Schiedsinstanz für Naturalrestitution gezeigt und deren Anmerkungen, die mir im Zuge eines weiteren Meetings mitgeteilt wurde, an einigen Stellen berücksichtigt. Bei beiden Treffen war Aicher anwesend. Und bei beiden Anlässen habe ich -wie auch bei der privaten Vorführung meines Films am 7. Juni im Wiener Gartenbaukino -unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass meine Kritik dem Entschädigungsgesetz von 2001 gilt und nicht der Arbeit der Mitglieder der Schiedsinstanz.

Wenn nun Franz Zoglauer wie auch mir "falsche Behauptungen und tendenziöse Auslassungen" unterstellt werden, muss dem dann doch entschieden widersprochen werden. Ausdrücklich ist festzuhalten: Franz Zoglauer hat in seinem Artikel den Inhalt meines Films nicht falsch, sondern verkürzt wieder gegeben. Es ist nicht Aufgabe einer Filmrezension, alle Fakten zu nennen. Und daher ist es müßig, auf jeden Absatz Aichers einzugehen.

Es entspricht zum Beispiel sehr wohl den Tatsachen, dass von 2315 Anträgen auf Naturalrestitution nur 611 historisch und juristisch geprüft wurden. Selbstverständlich wurden alle Anträge zunächst geprüft, ob sie in das enge Korsett des Entschädigungsfondsgesetzes passen. Dabei blieben eben nur 611 Anträge übrig.

Standard der zeithistorischen Forschung

Laut Aicher wurden 140 Anträge auf Naturalrestitution empfohlen. In Wahrheit geht es dabei lediglich um 60 Liegenschaften, die hauptsächlich zur finanziellen Abgeltung empfohlen wurden. In der Statistik der Schiedsinstanz fehlt übrigens die Zahl der 1:1-Restitutionen. Warum?

Bei einer Zahl hat sich Franz Zoglauer tatsächlich geirrt: Der Rechtsanwalt, der die langjährige Präsidentenvilla auf der Hohen Warte an die Republik verkaufte, hat nicht elf, sondern "nur" neun Millionen Schilling dafür bekommen. Der jüdische Vorbesitzer, der sich vor den Nazis rechtzeitig in Sicherheit bringen konnte, erhielt von demselben Rechtsanwalt nach der Rückstellung seiner devastierten Villa 145.000 Schilling. Diese krasse Differenz mit gestiegenen Immobilienpreisen (zwischen 1951 und 1965) zu begründen, bleibt Aicher unbenommen. Ich finde sie einfach ungerecht.

Aicher bemüht die Berichte der Historikerkommission, um Franz Zoglauer (und damit wohl auch mir) Nachhilfeunterricht in Sachen österreichischer Entschädigungspolitik seit 1946 (meinem Geburtsjahr) zu geben. Allerdings ohne auf die vielen kritischen Anmerkungen aufmerksam zu machen, die in den 49 (!) Bände umfassenden Forschungsergebnissen zur Rückstellungspolitik zu finden sind.

Es gehört heute zum Standard der zeithistorischen Forschung, dass die sieben Rückstellungsgesetze, die nach 1945 nur auf Druck der US-Besatzungsmacht verabschiedet wurden, durchwegs kritisch gesehen werden müssen. Es stimmt selbstredend, dass es Rückstellungen und finanzielle Abgeltungen mittels Vergleich gab. Doch sollte heutzutage nicht mehr verschwiegen oder gar geleugnet werden, welches Ausmaß an Ungerechtigkeit viele der damaligen Rückstellungsmaßnahmen nach sich gezogen haben.

Fakten sind Fakten

Mir ist bewusst, dass ein Jurist andere Prioritäten hat als eine Filme machende Historikerin. Trotzdem: Fakten sind Fakten. Man wird in "Let's keep ist" keine falschen finden. Auch nicht beim Fall des Erwin de Reitzes. Dabei geht es um einen spektakulären Doppelselbstmord auf der Höhenstraße (am 7. Mai 1953) und ein riesiges Anwesen in Obersievering, das von der NS-Reichspost in mehreren Etappen 1956 in den Besitz der Österreichischen Post-und Telegraphenverwaltung überging. Und seit 2001 dem Unternehmer Martin Schlaff gehört.

Aicher schreibt, dass ein Vergleich zwischen Erwin de Reitzes und der Post-und Telegraphenverwaltung von der damaligen Rückstellungskommission "Monate vor dem Tod von de Reitzes abgeschlossen und protokolliert" worden wären. Warum aber lässt Aicher unerwähnt, dass dies überhaupt nicht belegbar ist. Denn das entsprechende Dokument ist nach Angaben der Post "in ihren Akten nicht mehr vorhanden", um aus einem handschriftlichen Vermerk vom 7. Juli 2005 zu zitieren. Trotzdem wurden die wiederholten Anträge der Nachkommen de Reitzes' auch mit Hinweis auf diesen Vergleich abgelehnt.

Ich stehe dazu, dass mich derlei "Fakten" aufregen. So wie mich die immer noch ungebrochene Praxis empört, dass NS-Gesetze bis ins 21. Jahrhundert gültig geblieben sind und gegen die Ansprüche vieler Nachkommen von Holocaust-Opfern angewendet werden. Dafür abgekanzelt zu werden, wird an meiner Haltung nichts ändern. Zu ihr gehört auch, ungerechtfertigter Kritik -wie zum Beispiel an Franz Zoglauers Artikel -mit Faktentreue zu begegnen. Vor allem dann, wenn ganz bewusst -wie von Aicher -wichtige Details vorenthalten werden. Dann wird nämlich aus Verkürztem etwas Falsches.

LET'S KEEP IT 24. August bis 28. September 2018 im Wiener Stadtkino im Künstlerhaus www.letskeepit.at

Let's keep it

Kino-Dokumentarfilm von Burgl Czeitschner über die Restitution "arisierter" Liegenschaften, die nach 1945 in das Eigentum Österreichs übergingen.

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