Vom Begehren und Erkennen Gottes

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Es gibt Dinge, die nicht gern zur Sprache gebracht werden. In der Kirche ist das eine ganze Menge. Zum Beispiel das Begehren. Das Begehren hat keinen guten Ruf. Es ist verdächtig. „Wer Gott schauen will, der muss hohen Begehrens sein!“, hat Meister Eckhart gesagt. Doch heute ist das Denken oft klein geworden und verschrumpelt. Es hat seine Größe verloren. Wie gelingt es, heftig zu begehren und sich nicht in kleinkarierten Wünschen und Begierden zu verhaspeln?

Eine Möglichkeit bietet sich im Umgang mit Kunst. Ich muss ein Kunstwerk nicht besitzen, ich muss es nicht für mich haben wollen. Das ist eher hinderlich. Ich muss vielmehr den intensiven Wunsch haben, ein Kunstwerk zu erkennen. Wer einem Kunstwerk mit dem heftigen Begehren begegnet, es wahrzunehmen, dem wird es sich zu erkennen geben. Ich muss Stunden vor einem Bild ausharren, ich muss es gewissermaßen belagern mit meinem heftigen Begehren, von ihm etwas zu erfahren, etwas, das nur dieses Bild mir vermitteln kann.

Wenn ich dazu bereit bin, dann wird sich mir etwas mitteilen. Dann wird sich zeigen, dass es Dinge gibt, die seicht sind und bald erschöpft, und andere, die unerschöpflich immer neu erscheinen. Die anzuschauen und mit denen Zeit zu verbringen, immer bereichernd ist.

Es ist nicht wichtig, was die Kunstwerke zeigen. Wichtig ist heftiges Begehren, sie zu erkennen. Das geht über das Verstehen des Inhalts hinaus. Das geht dahin, das Kunstwerk in mich aufzunehmen.

Die vor Kunstwerken verbrachte Zeit ist daher von großem Nutzen zum Erkennen Gottes. Hier übe ich etwas ein. Es kommt nicht darauf an, in welcher Lebenssituation ich bin. Wichtig ist das heftige Begehren, immer und überall Gott zu erkennen. Wo dieses Begehren fehlt, wird die Kirche langweilig.

* Der Autor ist Kunsthistoriker und Rektor der Jesuitenkirche in Wien

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