Vom Ungeheuer zum Kuscheltier

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Der Drache: Wie sich eine uralte Vorstellung gewandelt hat, zeigt eine Ausstellung im Museum für Volkskunde in Wien.

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Der Drache: Wie sich eine uralte Vorstellung gewandelt hat, zeigt eine Ausstellung im Museum für Volkskunde in Wien.

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In der chinesischen Zeitrechnung hat gerade das Jahr des Drachen begonnen. Aus diesem Anlaß zeigt das Österreichische Museum für Volkskunde in Wien eine Ausstellung zum Thema: "Drache - Majestät oder Monster". Im Gegensatz zu China galten Drachen in Europa bis vor kurzem fast ausnahmslos als gefährliche und unheilbringende Wesen. Sie sind notorische Landverheerer, ernähren sich von Menschenfleisch, und haben es besonders auf Jungfrauen abgesehen. Der Lindwurm - so der althochdeutsche Begriff - bewohnt Höhlen oder Seen, speit Feuer und hat Flügel; selbst flugunfähige Drachen verfügen zumindest über Fügelstummel. Fossilienfunde haben diesem mittelalterlichen Drachenbild stets neue Nahrung gegeben: Die Knochen von prähistorischen Höhlenbären wurden als Drachengebein interpretiert, der Klagenfurter Lindwurm geht auf den Fund eines versteinerten Wollnashornschädels im Jahr 1335 zurück; dieser stand in der Renaissance sogar Modell für das Drachenhaupt am Klagenfurter Lindwurmbrunnen, dem Wahrzeichen der Stadt.

Schon die Alten Griechen, die Babylonier und die Bibel kannten den furchterregenden Drachen. Mit dem Christentum und angesichts der eindrucksvollen Drachenfeldzeichen der Römer gelangte der Glaube an Drachen in den mittel- und nordeuropäischen Raum. Im siebten Jahrhundert tauchte das Ungeheuer in der germanischen Mythologie auf; die Wikinger schmückten ihre Kampfschiffe mit Drachenköpfen. Durch das Studium antiker Schriften entwickelte sich im Mittelalter ein dem Altertum ähnliches Bild: der Drache als langschwänziges, feuerspeiendes Ungeheuer, oftmals mit mehreren Köpfen. Im Spätmittelalter wurde das Krokodil - einzelne ausgestopfte oder lebendige Exemplare wurden von Schaustellern im ganz Europa herumgezeigt - optisches Vorbild für den Drachen.

Die christliche Hagiographie hat eine stattliche Zahl von Drachentötern aufzuweisen, von denen der heilige Georg der prominenteste ist. Damit steht er in einer langen Tradition mythologischer Drachenbezwinger, zu denen unter anderen der ägyptische Sonnengott Re, die griechischen Helden Perseus und Herakles sowie der Siegfried des Nibelungenepos zählen. Einem Drachen den Garaus zu machen, lohnt sich: Drachentöter bekommen zumeist die von ihnen gerettete Jungfrau zur Frau und den vom Drachen gehüteten Goldschatz als Aussteuer. Außerdem hat das Drachenblut magische Kräfte: Wer darin badet, wird unverwundbar, wer es trinkt, vermag die Sprache der Tiere zu verstehen. Nur der heilige Georg gab sich damit zufrieden, daß die Bewohner der von ihm geretteten Stadt geschlossen zum Christentum übertraten.

Bis zum Beginn des naturwissenschaftlichen Zeitalters hielten auch ansonsten kritische Geister Drachen für reale Geschöpfe, doch dann zog sich der Drache ins Reich der Sagen und Märchen zurück. Eine wichtige Rolle spielt er heute nur noch in der Welt der Kinder - allerdings unter geänderten Vorzeichen: Spätestens seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts nimmt der Drache nicht mehr die Rolle des Bösen ein, sondern hat sich zum Guten gewandelt. Ein Paradigmenwechsel, der bis ins Kasperltheater hineinreicht: Im Wiener Urania Puppentheater ist der Drache Dagobert eine sympathische, liebenswerte Figur. Der Drache wurde zum Kuscheltier. "Schafft man die Schrecken, die heute geschehen, beiseite, wenn man die alten Schrecksymbole verharmlost?", fragt dazu der Volkskundler Lutz Röhrich. Für den Kinderpsychologen Bruno Bettelheim symbolisiert der Drache "das Ungeheuer im Kind" und dient der Bewältigung von Ängsten. So fallen der beabsichtigten Erziehung zur Toleranz - der scheinbar bedrohliche Drache als Symbol für das Fremde - notwendige kindliche Aufarbeitungsprozesse zum Opfer: Die politische Korrektheit erweist sich als Schuß nach hinten.

Bis 21. Mai. Laudongasse 15-19, 1080 Wien

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