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Wider den Drachen Diktatur...

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Sagen, Märchen und Mythen bieten dem Dramatiker immer wieder Anregungen für Stücke. Und gerade auch für sehr zeitgemäße. So nun hat der russische Dramatiker Jewgenij Schwarz in seiner Märchenkomödie „Der Drache“, die derzeit im Volkstheater aufgeführt wird, keltisches Sagengut um Lanzelot, den Ritter aus der Tafelrunde des Königs Artur, mit europäischen Drachen-sagen und wohl vor allem mit altchinesischen, ins Mythische zurückreichenden Vorstellungen legiert. China zeigte das Bild des Drachen sowohl in der Flagge, wie als furchteinflößendes goldenes Untier im Wappen. Da liegt es nun nahe, den Inhaber des Drachenthrons als Drachen zu sehen, der sich — wie in altchinesischen Märchen — in einen Menschen verwandeln kann.

Der Drache beherrscht in diesem Stück nicht China, sondern ist der tyrannische Präsident eines nicht näher bezeichneten Stadtstaates, dessen Menschen er zu knechtischer Willenlosigkeit geformt hat. Lanzelot, ein Nachfahre des Artusritters, zog wie sein Ahne aus, um bedrängte Unschuld zu retten, ja, er weiht Sein Leben dem Kampf gegen das Böse. Ihm nun gelingt es, den Drachen zu töten, wobei er verwundet wird. Als sich dann ein Usurpator als Drachen-töter ausgibt und die Tyrannei des Drachen fortsetzen will, kehrt der totgeglaubte Lanzelot zurück, ein glückliches Zeitalter bricht an.

Jewgenij Schwarz nützt diese von ihm selbst erfundene Parabel, um, verfremdet als Märchen, die politischen Zustände unter der Herrschaft eines Tyrannen anzuprangern:, die Rechtlosigkeit, die Gewaltmaßnahmen, die rückgratlose Unterwürfigkeit fast aller Beherrschten unter die

Willkür des Herrschenden, das hymnische Lobpreisen seiner Anordnungen. Das im Jahr 1943 geschriebene Stück wendet sich gegen jedwede Tyrannei. Doch dachte der Russe Jewgenij Schwarz dabei wohl an Hitler. Oder auch an Stalin? Jedenfalls wurde das Stück erst 1962, fast neun Jahre nach dem Tod dieses Diktators, in der Sowjetunion aufgeführt.

Das Märchenhafte ist hier lediglich ein Mittel, die Brisanz des politisch Uberdeutlichen abzuschwächen. So wirkt diese Märchenkomödie trotz der anerkennenswerten moralischen Absicht reichlich primitiv, Poetisches wird nirgends spürbar, jede Vertiefung fehlt, nichts greift ins Mythische. Nur ein Hinweis: C G. Jung deutet den Drachen als „uranfängliehe Unbewußtheit“, so ließe sich der scheinbar überbewußte Tyrann letztlich als unbewußtes Werkzeug des Dämonischen darstellen.

Selbst einem Regisseur wie Leon Epp gelingt es nicht, auf der Bühne echte Märchenstimmung erstehen zu lassen. Allerdings eignen sich dafür auch nicht die überladenen Bühnenbilder von Hubert Aratym, der vordem Vorzügliches schuf. Klaus Höring als frisch-jugendlicher Held Lanzelot, Hans Kräßnitzer in dreierlei Menschengestalt als Drache, Oskar Willner als würdig-auf rechter Archivar, Erika Motu als dessen schlicht-liebenswerte Tochter, Hans Rüdgers als dem Wahnsinn naher und zugleich gleisnerischer Bürgermeister, wie Wolfgang Hübsch als dessen kalt-heimtückischer Sohn — dieser Darsteller prägt sich einem ein — bieten beachtliche schauspielerische Leistungen.

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