Igor Bauersimas "Boulevard Sevastopol" am Akademietheater: Eine Uraufführung, deren aktuelles Thema einen seltsam kalt lässt.
Der 1964 in der ehemaligen Tschechoslowakei geborene und in der Schweiz aufgewachsene Autor, Regisseur und Bühnenbildner Igor Bauersima gehört seit fünf Jahren zu den meist gespielten Theaterautoren seiner Generation. Seit dem Erfolgsstück mit dem hübschen Titel "norway.today" (gesprochen ,no way to die'), über zwei Jugendliche, die sich per Internet zum Selbstmord verabreden, gilt er als Spezialist für Zeitgeistiges.
Auch im jüngsten, mit seiner Co-Autorin Réjane Desvignes geschriebenen und nun im Wiener Akademietheater in seiner Regie und Ausstattung uraufgeführten Stück "Boulevard Sevastopol" bewegt er sich nah an den seelischen Erosionen und dem Lebensgefühl einsamer Menschen im turbokapitalistischen, medialen Zeitalter.
Das Stück spielt am Rande Wiens, in der Wohnung der vor Jahren schon ausgewanderten Russin, der um kein harsches Wort verlegenen Dascha (Libgart Schwarz) und deren etwas dümmlichem Ehemann Kurt (Florentin Groll). Unter den russischen Migranten, die hier ihr illegales Dasein fristen - Bauersima buchstabiert reichlich klischeebehaftet das ganze Arsenal von Typen durch, vom Mafioso über den Dissidenten, der Tänzerin bis hin zur unvermeidlichen Prostituierten ist alles dabei - befindet sich auch die Medizinstudentin Anna (berührend gespielt von Dorothee Hartinger), die sich, um die Schlepperschulden abzubezahlen, vor der ganzen Welt auszieht.
Anna hat eine heimliche Liebe und eine noch heimlichere Sehnsucht: mit Zed (Markus Meyer), dem sie in der Wirklichkeit zwar noch nie begegnet ist, mit dem sie aber chattend schon so manche Reise in die Phantasie unternommen hat, will sie bald ganz real nach Paris reisen, auf die andere Seite, da, wo sich ihr Glücksanspruch, ihre bescheidene Sehnsucht nach etwas Wohlstand und menschliche Nähe, erfüllen soll. Wenn man sie denn lässt und ihr den Pass aushändigt. Zed aber ist in Wirklichkeit Lev, der Sohn ihres im Luxus schwelgenden Abkassierers. In einem letzten Chat versucht er Anna fabulierend an diese Wahrheit heranzuführen. Zwar sind die beiden Realitätsebenen elegant ineinander verwoben, fingerschnippend friert die Handlung ein und wir wechseln die Sphäre und allmählich verwandelt sich die Bühne vom virtuellen Raum des Internets in ein reales Wohnhaus, aber die Geschichte lässt einen seltsam kalt.
Zu unentschieden ist es, was die Autoren erzählen wollen. Zum Thema Emigration haben sie nicht viel zu sagen und als Melodram ist das Konfliktchen zu flach und zu bemüht. So taugt das Stück weder als Milieustudie noch als Liebesgeschichte. Es ist bloß eine Geschichte, die umständlich danach fragt, was geschieht, wenn die Außenwelt einen zunehmend medialen Charakter hat und damit die Unterscheidung zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit, Wahrheit und Wahrscheinlichkeit aufgehoben wird, selbst ganz artifizieller Reiz.