Von der Aus- und von der Hinrichtung

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Deutsch -Stunde

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"Die Wachleute mußten sich an den Händen nehmen, um eingekeilt in die vorne und rückwärts andrängende Menge …‘ Wie war das also? Wenn die Menge vorne andrängt, so drängt sie ja eben rückwärts, und die Wachleute sind dann zwar bedroht, aber nicht eingekeilt. Das sind sie, wenn die Menge vorne und hinten andrängt, denn die Menge, die vorne andrängt, drängt rückwärts, und die Menge, die hinten andrängt, drängt vorwärts. Man müßte also, um das auszudrücken, entweder schreiben, daß die Menge vorne und hinten, oder daß sie […] rückwärts und vorwärts angedrängt habe. Aber das wäre nicht österreichisch. Deutsch ist, daß man vorne und hinten steht, nach vorne und nach hinten geht oder vorwärts und rückwärts. In Österreich steht man zwar vorne, aber nur rückwärts, nicht hinten, und geht ‚nach vorwärts‘ und ‚nach rückwärts‘. […] Der Österreicher fühlt sich beim Wort hinten so sehr ertappt, daß er die größten sprachlogischen Opfer bringt, um es zu vermeiden. Er setzt für das zuständige Adverb das Richtungswort, ergänzt es dort, wo es wirklich die Richtung bezeichnen soll, durch das tautologische ‚nach‘ und erfindet das Adjektiv ‚rückwärtig‘. Alles das, weil er sich bei jeder nur möglichen Gelegenheit an den Rückwärtigen erinnert fühlt.“ (K. Kraus, Die Fackel 315, 13)

Wer da ist, ist dort. Oder hier.

Der Wachmann ist ausgestorben wie der Nachtwächter, doch das heillose, durch nichts aufzulösende Dilemma der Richtungs- und Ortsangaben bleibt bestehen. Zwischen "hier“ und "da“ und "dort“ lässt sich ein auswegloses Ringelspiel erzeugen, dass der Ortsuchende nur so "auffi“ und "abi“ hetzt, um endlich hinter sich zu lassen, was doch recht eigentlich unter sich gehört. Doch unter sich bleiben - das hat in Österreich wieder eine ganz andere Bedeutung und einen Sinn, der nicht immer von Gesinnung zeugen mag. Also blicken wir in die Zukunft und gehen weiter. Nach vorwärts …

In diesem Zusammenhang sei des unvergesslichen Edwin Hartl gedacht. Ohne ihn, der auch in dieser Zeitung viele prägende sprachgewissenhafte Beiträge geschrieben hat, stünde die Kraus-Forschung heute auf wesentlich dünneren Beinen.

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