Von der Tisch- zur Bettgemeinschaft

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Der Sommerschlussverkauf offenbart es: Nicht nur Supermodels, sondern auch Schaufensterpuppen sind magersüchtig. Die Arme und Beine der gesichtslosen Plastikschönheiten erinnern an brüchige Grissini. Der durch und durch gerundete (smoothe) menschliche Körper, den Renaissancekünstler noch als göttliches Ideal abfeierten, wurde von einem streng geometrischen System aus flachen Torsi und langen Röhren abgelöst. Der designte (Frauen-)Körper ist minimalistisch modern geworden.

US-Historiker Harvey Levenstein ortet ab 1900 eine stetige Wandlung des gesellschaftlichen Frauenbildes von der Köchin zur Sexualpartnerin. Die Frau wanderte sozusagen von der Küche ins Schlafzimmer. Die Aktivität Ernähren mutierte zum passiven Anbieten des Körpers. Aus Rezepten für die ganze Familie in sogenannten Frauenzeitschriften wurden Ernährungstipps ("schlank durch die Weihnachtstage“) und Diäten ("Bikinifigur in 5 Tagen“) allein für die Leserin. Nahrungsverweigerung also. Selbstkasteiung ist ein individueller Akt. Fasten ist das Gegenteil der Tischgemeinschaft.

Wer feiert noch Orgien?

Konsequentes Bodydesign bis hin zur Anorexia nervosa verspricht dem gesellschaftlichen Vernehmen nach lustvolle Zweisamkeit im Bett. Das Verlangen nach Sex verbietet also andere Lüste. Hat sich die Lehre von Sigmund Freud so weit durchgesetzt, dass wir Europäer alle anderen körperlichen Lüste verweigern (müssen), um zu der einen wahren zu kommen? Es ist uns jedenfalls trotz intensiver Recherchen bislang nicht gelungen, in Europa Menschen zu finden, die Orgien feiern.

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