Das Schicksal der Welt wird sich eher am arktischen Eis entscheiden
als am Eisbecher. Und doch hat letzterer eine Menge zu erzählen, über
sich und über uns.
GegessenDrei kulinarische Themen prägen diese Tage: Fairtrade Österreich feiert zwanzigjähriges Bestehen. Die angekündigte Reform der Agrarsubventionen der Europäischen Union hin zu ökologischer Landwirtschaft wird erfolgreich weglobbyiert. UND: Die Wiener Firma Niemetz, Erfinder und Hersteller der "Schwedenbombe“, soll kurz vor dem Konkurs stehen. Letzteres treibt die Wogen hoch. Spotan bildete sich eine Facebook-Gruppe namens "Rettet die Schwedenbombe“. In Supermärkten wurden und werden von rettenden Konsumenten die Schwedenbombenregale wieder und wieder und wieder leergekauft.
Ehe am 24. Dezember das erste große Fressen des Winters beginnt, irren wir(!) Mitteleuropäer gerne von Konsum zu Rausch und umgekehrt. Der Adventwahlspruch lautet wie jedes Jahr: "Gestresst wirken und beim Punschstand sein“. Die Stunden zwischen Vorweihnachtsstress und der religiös konnotierten Konsum- und Kalorienorgie versinkt der gelernte Österreicher in der entspannenden, ewig gleichen Sensation, dass wir(!) bei "Licht ins Dunkel“ schon wieder Spendenweltmeister geworden sind. Vor lauter karitativer Glückseligkeit wird dabei alljährlich die Frage vergessen, warum in einem der
GegessenBis 30. September ist im "Designhuis“ im niederländischen Eindhoven noch die Ausstellung "De Etende Mens“ ("Der essende Mensch“) zu sehen. Die Rotterdamer Designerin Marije Vogelzang kuratierte eine kritische Auseinandersetzung mit dem alltäglichen Designprodukt Nahrung. Schon der "Indoor Guerilla Garden“ im Stiegenhaus, eine Art schräges Beet für alle, die eigene Samen anpflanzen wollen, weist auf die Lesart der Ausstellung hin. Es geht um die Zukunft der Nahrungsversorgung. Gezeigt werden unter anderem ein 3D-Plotter, der wie im Raumschiff Enterprise Gerichte "druckt“,
Seit Jahren kursieren Gerüchte über "künstliches Fleisch“. Mithilfe von Genen oder Enzymen oder so, jedenfalls mit Wissenschaftlern, soll "unser“ Schnitzel im Labor und ganz ohne Tier hergestellt werden. ORF online vermeldete vor wenigen Tagen, dass nun auch der US-amerikanische Biochemiker Craig Venter in die Forschungen zu "künstlichem Fleisch“ einsteigen soll. Venter wurde berühmt, weil er entscheidend an der Entschlüsselung "unserer“ Gene beteiligt war. Wegen seiner, teils erfolgreichen, Bemühungen synthetische Bakterien herzustellen, ist er mehr als umstritten. In
Bücher und Onlineforen, die bezweifeln, dass "wir“(!) das "Richtige“(!) essen, erscheinen in nie dagewesener Fülle. Kritische Schriften und allerlei Aufdeckerei zur Nahrungsherstellung und zu deren Vertrieb boomen. Die Schlagzeilen erzählen dabei von Manipulationen, Tricks der Nahrungsmittelindustrie, Skandalen, Schweinereien etc. Offenbar wird "uns“(!) von bösartigen, geldgierigen, ausländischen(!) Konzernen und deren Managern Nahrung verkauft, die nicht nur von schlechter Qualität ist, sondern auch die Gesundheit schädigt. Als Leser all dieser Unheilsbotschaften wartet man nur
Gegenwärtig müssten katholische Christen ihren Speiseplan deutlich einschränken. Doch selbst der Aschermittwoch oder der Karfreitag sind den meisten katholischen Österreichern genauso wurscht wie dieselbige, die sie an diesen Tagen zwischen die Semmel schieben. Dennoch sind Speisetabus und -regeln auch bei uns und bis heute ein Thema. Populistische Politiker, Geistliche und Medien, Stammtischdiskussionen und (ekelhafte) Internetblogs geifern aggressivst auf die Essrituale anderer, fremder Kulturen hin. Halal oder Koscher werden gebrandmarkt und Andersgläubige damit beleidigt und
Der Agrarbiologe Clemens G. Arvay hat ein Buch namens "Der große Bio-Schmäh“ geschrieben. Darin kritisiert er die zerstörerische Wirkung sogenannter Bioeigenmarken von Hofer, Billa und Spar auf die nachhaltige Landwirtschaft. Diese Konzerne, die mehr als 90 Prozent des Bioumsatzes in Österreich machen, designen laut Arvay eine industrialisierte Lebensmittelerzeugung auf Basis von Monokulturen.Der Kritik folgt moralische UnsicherheitDer Biodiversität sei das nicht gerade zuträglich, meint der gebürtige Grazer. In ein ähnliches Horn stieß bereits vor einigen Jahren der
Es ist Winter. Eigentlich sollte das ein Land wie Österreich nicht weiter verwundern. Dennoch bricht in regelmäßigen Abständen das mediale "Schneechaos“ aus. So gibt es alljährlich und ganz überraschend im Westen was ganz Neues: Schnee.Wesentlich mehr als das Wetter sollte uns beeindrucken, dass die Urbesiedler der Alpenländer überhaupt in der Lage waren in diesen unseren unwirtlichen Breiten zu überleben. Einst verlangten große Teile des Bundesgebiets ihren Bewohnen enorm viel Kreativität, Erfindungsgeist und Selbstdisziplin hinsichtlich der alltäglichen Ernährung ab. Das Essen
Sobald die Tage kürzer und kälter werden, steigt nicht nur der Konsum heißgemachten (und sonstigen) Alkohols. Je dunkler die Welt, desto mehr symbolische Lebensmittel nehmen wir zu uns. Der kulinarische Wertereigen beginnt mit dem Allerheiligenstriezel, eigentlich einem uralten, heidnischen Opferbrot. Antike Trauerkulte sahen vor, sich die geflochtene Haare zu schneiden, um damit seinem Leid Ausdruck zu verleihen. Aus diesem Haaropfer soll sich im Laufe der Geschichte der wohlschmeckendere Striezel entwickelt haben. Das Trauerbrot mutiert Ende Dezember zum Symbol für das Wickelkind und
Käsebrot und Marmelade“ war das Motto des kürzlich veranstalteten Heidelberger Ernährungsforums. Die Dr. Rainer Wild Stiftung für gesunde Ernährung hatte Wissenschaftler eingeladen, die daraufhin vor Publikum über den Geschmack referierten.Dabei kamen größtenteils Naturwissenschaftler zu Wort, die sich mit den körperlichen Empfindungen beim Essen auseinandersetzen. Es ging also um die menschlichen Sinne. Man sprach über die Lust.Und dabei stand ausschließlich das "Gute“ zur Debatte. Ist nicht auch der sogenannte gute Geschmack ein kultureller Wert, definiert von einigen wenigen,
Im Rahmen des heurigen Europäischen Forums Alpbach gewährten Wissenschaftler österreichischer Universitäten Einblicke in ihre Welt der Lebensmittel und Ernährung. Bei der Waldviertler Akademie in Weitra wurde die These "Der Mensch ist, was er isst“ diskutiert.Dabei kam wieder und wieder das Thema "Fehlernährung“ zur Sprache. Denn während etwa eine Milliarde Menschen Hunger leidet, haben fast genauso viele Erdbewohner mit Übergewicht und Fettleibigkeit zu kämpfen.Dass es sich dabei nicht um gepflegte Bierbäuche handelt, sondern um ein tödliches Problem, hat mittlerweile zumindest
Schreckensbilder queren den mangelhaften Sommer. In Somalia sterben Menschen, weil sie nichts zu Essen haben. Sie leiden Hunger, unter anderem wegen des Wetters. Das ist unvorstellbar.Diese Schreckensbilder von hungerleidenden Menschen rufen uns Europäer dazu auf, mit Geld zu helfen. Doch selbst die radikalsten Fernsehaufnahmen sterbender Kinder lassen uns Hunger nicht einmal erahnen. Er ist unvorstellbar.Eine politisch definierte Grenze macht den AsylantenDrastischer als die fotografischen Abbildungen ist das medial verwendete Vokabular. Die Hungerleider (positiv) werden als Opfer
Etwas verfrüht und nicht gerade sprichwörtlich ist die "saure Gurkenzeit“ angebrochen. Die grüne Salatpflanze hatte ständige Medienpräsenz und die Erzeuger derselben waren ziemlich sauer. Man merkt, die Unschuldsvermutung gilt nicht bei Gurken. Trotz der derzeit vermuteten Täterschaft der Sprosse wird es den langen, krummen Grünen nicht gelingen, sich in näherer Zukunft zu rehabilitieren.Das ist für einige Bauern und Händler tragisch. Zweifelhaft wirkt auch die schnelle, medienwirksame Inquisition in kleineren Bioläden, während die (in Österreich verpackte und damit offiziell
Zwei Landesmuseen, eine Galerie und das Institut für Gastrosophie zeigen Ausstellungen zu Themen rund ums Essen. In St. Pölten haben Arche-Noah-Geschäftsführerin Beate Koller und Erich Steiner eine Schau namens "Kraut und Rüben“ kuratiert. Sie thematisiert die 10.000 Jahre währende gemeinsame Geschichte von Mensch und Kulturpflanze. Im Linzer Schlossmuseum widmen sich Martina Kaller-Dietrich, Andrea Heistinger und Daniela Ingruber mit "Essen unterwegs“ der These: "Mobile Menschen brauchen mobiles Essen“. Im Vorarlberger Schnepfau stellt Martin Geier "high end“-Foodfotografien auf
Am 9. November fand an der Londoner Metropolitan University das weltweit erste Symposium zum Thema Food-Design statt. Endlich wurde auf hohem Niveau über die Gestaltung unserer Nahrung debattiert.Ein dominantes Thema betraf aber nicht die Nahrung selbst, sondern eine krankhafte Auswirkung des Essens: Fettleibigkeit, ein Problem, das (noch) hauptsächlich im angelsächsischen Raum diskutiert wird. Brian Wansink von der New Yorker Cornell University präsentierte Diagramme, die darstellten, dass derzeit etwa 35 Prozent aller US-Amerikaner fettleibig sind. Wansinks Forschungen zufolge haben
"Wie kann man sich bloß mit so einem banalen Thema wie Essen beschäftigen?" Wieder und wieder bekommen wir diese Frage gestellt. Die Gegenfrage bleibt meist unbeantwortet. Wir wissen also nicht, warum Essen banal sein soll. Liegt es am philosophisch aufbereiteten Gegensatz des (wichtigen) Geistes und des (bedeutungslosen) Körpers oder vielleicht doch daran, dass der Einkauf, die Zubereitung und die Beseitigung der Reste von Nahrung im Regelfall der Hausfrau vorbehalten bleibt? Zweitklassige, uncoole Arbeiten? Essen als Ausdruck des Patriarchats?Essen erhält uns am Leben. Ohne Essen sterben