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Wahre Notwendigkeiten

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Der enorme Boom der Psychotherapie, der in Wien bei einem MonsterkongreB geradezu explodierte, konnte schon iiberraschen. Wien als einstige Wirkungsstatte Sigmund Freuds, als Kntstehungs- und Erscheinungsort seiner „Traumdeutung" - das war gut gewahlt. Aber der Ansturm von 4000 Psychotherapeuten aus aller Welt bis zur Mongolei und Afrika - und zwar alle auf eigene Kosten und mit an-

sehnlicher Teilnehmergebiihr - dies hatte kaum jemand voraussehen konnen. Der gewaltige erste „AYeltkongreB" der Psychotherapie, der 14 Mil-lionen Schilling kostete und im KongreBzentrum jenseits der Donau stattfand, trug sich kommerzi-ell selbst - und das in einer Zeit, in der tausende Symposien aktuellster Thematik nur mit massiver staatlicher Subvention oder industriellen Sponso-rengeldern stattfinden konnen. Offenbar sind de-ren scheinbar so brennend aktuelle Themen gar nicht wirklich aktuell. Die realen Interessen heu-tiger Menschen gehen also in eine ganz andere Richtung. Und zwar in jene der Losung psychischer, seelischer, existen-tieller Lebensprobleme. Diese sind es, die unsere Mitmen-schen zutiefst im Innern bewegen.

Viktor Frankl, einer der prominenten Redner dieses Kon-gresses, hat mit seinem unermudlichen Hinweis auf die qualende Sinnkrise in unserer Gegenwart viel mehr recht als die meisten Intellektuellen heute annehmen. Uberhaupt, die Intellektuellen: viel zu, viele befaBten sich in den letzten Jahr-zehnten allzu begeistert und modegeil mit formalistischen Spe-kulationen, mit zynischen, aber effektvollen Kunststiicken der Postmodernen. Ihnen lag die Auflosung und Relativierung je-des Lebenssinnes weitaus naher als die reale Problematik von dessen Hinschwinden. Schon als langst klar war, daB die Menschen nicht mehr am dominierenden „Uber-Ich", sondern an dessen totaler Abwesenheit litten, stellten sie die systematische Zerstorung von Sinnwerten keineswegs ein, sondern sonnten sich weiter im Glanz ihrer artifiziellen „Dekonstruktionen".

Der Erfolg dieses Kongresses (trotz mancher Auswuchse) sollte unseren Intellektuellen sehr zu denken geben. Nach dem Hinschwinden und der Schwachung unserer „Uber-Ich"-Insti-tutionen (Kirche, Staat, Schule, Familie, Moral, Philosophic) ist die Krise alarmierender denn je. DaB sie viel zu wenig richtig wahrgenommen wird, verschlimmert die Lage.

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