Wenn Banken zu Communisten werden

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Europas einzige "Braucommune" im oberösterreichischen Freistadt kennt den Shareholder-Value seit Jahrhunderten.

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Europas einzige "Braucommune" im oberösterreichischen Freistadt kennt den Shareholder-Value seit Jahrhunderten.

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Uns gibt's halt noch, weil's uns gibt". Es klingt wie eine fernöstliche Binsenweisheit, wenn Ewald Pöschko von Europas einziger "Braucommune" im oberösterreichischen Freistadt spricht. "In Büchern über Handelsrecht werden Sie diese Gesellschaftsform gar nicht mehr finden", berichtet der Geschäftsführer nicht ohne Stolz.

Jeder Besitzer eines Innenstadthauses der Mühlviertler Gemeinde ist an der Brauerei beteiligt, ob er will oder nicht. Denn der Anteil hängt am Gebäude. Selbst wenn es abgerissen oder als Hypothek verlorengeht: Der Anteil bleibt im Grundbuch festgeschrieben. Mit kuriosen Konsequenzen: "Auch die Raiffeisen-Bank ist eine Communistin", schmunzelt Mit-Eigentümerin Anna Friesenecker, Pensionswirtin am Höllplatz.

Gemessen wird der Anteil in der historischen Einheit eines Eimers, das entspricht bis heute 56 Litern Bier. Kein Innenstadthaus, so die strengen Statuten, darf weniger als 15 Eimer halten, keines mehr als 140. Und: Die virtuellen Blechgefäße können nur an andere Bier-Communisten verkauft werden. Damit ist eine Übernahme, etwa durch die mächtige Brauunion, praktisch ausgeschlossen. Denn dafür müßte diese sämtliche Innenstadthäuser von Freistadt bis auf die von Anfang an ausgeschlossenen Kirchengebäude aufkaufen.

Man schrieb den 31. Dezember 1770, als alle zustimmten, ihre Anteile in eine gemeinsame, große Brauerei gegen die hereindrängende böhmische Konkurrenz einzubringen, insgesamt 6.390 Eimer Startkapital.

Damit verzichteten die Freistädter auf ihr seit Stadtgründung verbrieftes individuelles Recht, Bier zu brauen. Freistadt wurde von seiner Gründung 1220 durch den Babenberger Herzog Leopold VI an nicht zufällig mit Privilegien überschüttet. Auf dem uralten Handelsweg zwischen Donau und Elbe war die Gemeinde als Bollwerk gegen die Böhmen konzipiert.

Das barocke Brauhaus steht aus gutem Grund vor der Altstadt. Innerhalb der geschlossenen, doppelten Befestigungsmauern aus dem Mittelalter, die nur in einem Bauernkrieg eingenommen werden konnten, war schlicht kein Platz.

Die Brauerei will - ihrer langen Tradition zum Trotz - mit der Zeit gehen. Pöschko setzt auf Transparenz und lädt auch die zwölf Mannen vom "Verstärkten Ausschuß" öfter zu Briefings über den Betrieb. Eigentlich müßten der Ein-Mann-Vorstand und der alle drei Jahre gewählte zwölfköpfige Verwaltungsrat - übrigens auch eine reine Männersache - das nur tun, "wenn's ans Eingemachte geht".

Davon ist aber derzeit keine Rede. Der Betrieb mit 45 Beschäftigten verkauft Rekordmengen der insgesamt fünf ständigen Biere, dazu Limonaden; der Umsatz stieg zuletzt auf 150 Millionen Schilling. Und der Vorstand steht zu seinem Manager. Selbst der ebenfalls unter den Mitgliedern gewählte Verwaltungsrat läßt sich in letzter Zeit von den meisten größeren Entscheidungen, die Pöschko ausheckt, überzeugen, etwa von der funkelnagelneuen Abfüllanlage. Der Rat der Bier-Weisen tagt seit kurzem wie das Konklave in Rom: bei Wasser. Erst wenn der Vorstand - "das kann kein Auswärtiger sein" (Lokalhistoriker Fritz Fellner) - die offizielle Sitzung beschließt, wird - standesgemäß - angezapft. Ob diese Neuerung die Kooperationsbereitschaft der Brau-Interessenten, wie die Besitzer von Eimern genannt werden, mit dem Management erhöht hat, ist nicht bekannt.

Einmal im Jahr versammeln sich die Communisten zum Jahresrück- und Ausblick. Dabei wird auch der sogenannte Braunutzen im Briefkuvert überreicht. Die Dividende der Communisten - früher in Eimern Bier ausgezahlt - machte zuletzt 60 Schilling jährlich aus, erzählt Friesenecker.

Die Stimmung zwischen Unternehmensführung und Communisten dürfte jedenfalls schon schlechter gewesen sein. So erzählt man sich mit Schaudern, daß 1964 ein Miteigentümer, der Wirt des Gasthofs Hirsch, nach einem längeren Streit Gösser auszuschenken begann. Ein in fast sechs Jahrhunderten seit dem ersten Brauhaus von 1383 nie da gewesener Skandal!

Auch als in den siebziger Jahren die neumodische Einrichtung eines Billa-Supermarktes nach Freistadt kam, waren die Communisten monatelang gespalten. Sollte man so jemanden beliefern? "Eigentlich ein Wahnsinn ...", greift sich Kaufmann Pöschko noch heute an den Kopf. Die Gastwirte in der Braucommune sahen im Selbstbedienungsladen die größte Konkurrenz. "Da saufen sie dann zu Hause", soll einer voll Entsetzen in die Runde gebrüllt haben. "Diese Probleme haben wir heute nicht mehr", so Pöschko, "die meisten Miteigentümer sind heute Kaufleute und haben eine Ahnung von Wirtschaft."

Die historisch recht junge Eintracht unter den Communisten mag auch an Pöschkos Betreuung liegen. So darf jeder der Vertrags-Gastwirte im Umkreis von 50 Kilometern seine Stammkundschaft einmal im Jahr zu einer Brauerei-Führung laden. Die Gäste haben's feucht-fröhlich, der Wirt hat bei "seinen Leuten eine gute Nachrede", und der Manager hat beides. Schaumgekrönter Abschluß: ein geselliger Umtrunk im "Juchee", einer Mischung aus Heurigen und Bierkeller auf dem Brauereigelände. "Ganz primitiv", beschreibt Friesenecker das holzgetäfelte Verlies mit seinen spartanischen Bänken und Tischen. "Da gibt's dann warme Würste, Wachauer Laberln und Bier in endlosem Maß." Ob das jetzt nicht zuviel verraten war? "Jetzt haben sie's reduziert", fügt Friesenecker hinzu, "weil's ausgeartet ist."

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