Wenn das Erzählen selbst zum Thema wird

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Nur im Erzählen offenbart sich eine Zukunft: Dea Loher zählt zu den meistgespielten deutschen Gegenwartsautorinnen; und das nicht zufällig: weil sie zeigt, welche Kraft in der Narration steckt. In ihrem neuesten Stück „Das letzte Feuer“ macht sie das Erzählen selbst zum Thema. Georg Schmiedleitner hat für das Volkstheater die österreichische Erstaufführung übernommen und sie als Mischung aus Dokumentar-Theater und Fiktion eingerichtet.

Ein achtjähriger Bub steht an der Rampe und kritzelt Figuren aus seiner Umgebung auf eine weiße Fläche. Als das Saallicht abgeblendet wird, erschließen sich die Figuren, deren Schicksale sich an einem Tag im August vor einigen Jahren über einen tragischen Autounfall miteinander verwoben haben. Gemeinsam treten sie vor den Vorhang und versuchen im Chor ihre Geschichte zu erzählen, doch die Sprache versagt ihnen.

Ein Abend für Nervenstarke

In der Rückblende erst vernetzen sich die Biografien: Der Theatervorhang öffnet sich und gibt eine düstere, trostlos graue Bühne (Stefan Brandtmayr) frei. In dieser Gegend ist alles aus Stahl: die Badewanne, die das Zuhause der Familie des verstorbenen Buben Edgar andeutet, die Hollywoodschaukel der frühpensionierten, weil krebserkrankten Lehrerin Karoline (Susa Meyer) oder der Container des arbeitslosen Paares Peter (Thomas Meczele) und Olaf (Simon Mantei). Wie so oft gelingen Schmiedleitner atmosphärisch starke Szenen, zu denen Julie Larssens musikalische Einrichtung beiträgt, die akustische Räume in diesem „Glasscherbenviertel ohne Zukunft“ etabliert. Der Tod des Knaben bringt die Versehrtheit aller Figuren an die Oberfläche: Der Kriegsheimkehrer Rabe (Raphael von Bargen), der sich selbst verstümmelt, bringt es in einer Liebesszene mit der brustamputierten Karoline auf den Punkt: „Außen bist Du versehrt, aber innen bist Du ganz. Besser als umgekehrt.“ Das Prekariat, von dem Dea Loher ausgeht, betrifft jeden: Der dementen Rosmarie (Johanna Mertinz) fehlt die Erinnerung, Ludwig (Rainer Frieb) und Susanne (Claudia Sabitzer) ihr Sohn, der Polizistin Edna (Katharina Vötter) eine eigene Identität. Im Erzählen ihrer Ängste und im Verstehen wird aus den Individuen ein „Wir“, einem Schicksal oder Gott freigegeben, der auf das Individuum keine Rücksicht zu nehmen scheint.

Genau hier liegt aber auch die Schwäche der Inszenierung: In den pausenlosen zwei Stunden inszeniert Schmiedleitner die Schrecken nämlich realistisch. Anstatt das Theater zu nutzen, um szenisch anzudeuten, wird jede Schlacht, jeder Terror konkret auserzählt. Ein harter Abend für ein nervenstarkes Publikum.

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