"Wenn man juristisch ein Niemand ist "

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Seit Jänner 2014 leitet Österreichs UNO-Botschafter Martin Sajdik den Wirtschaftsund Sozialrat der Vereinten Nationen in New York (ECOSOC). Das Organ koordiniert die Arbeit der UN-Organisationen in Hinblick auf die auslaufende Millenniumsentwicklungsagenda und spielt eine zentrale Rolle bei der künftigen Umsetzung der daran anschließenden "Nachhaltigen Entwicklungsziele". Über den Stellenwert von Good Governance darin sprach Martin Sajdik mit der FURCHE.

DIE FURCHE: Vor zwei Wochen hat die Europäische Kommission ihre Prioritäten für die neuen globalen Entwicklungsziele, die ab dem nächsten Jahr gelten sollen, präsentiert. Es wurde von "universellen Werten" gesprochen auf denen alle Partnerschaften basieren sollen: Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, auch Good Governance. Gibt es eine universelle "gute Regierungsführung"?

Martin Sajdik: Sie sprechen ein Hauptproblem an, nämlich die Begrifflichkeit. Auch bei "rule of law" verwenden wir die Übersetzung "Rechtsstaatlichkeit", die aber nicht exakt das gleiche bedeutet. Ähnlich ist es bei Good Governance, einem Terminus, den wir nicht richtig ins Deutsche übersetzen können, und der verdeckt, was wir wirklich wollen. Wir sollten uns die Mühe sparen, ihn zu übersetzen, und darüber reden, was wir mit Good Governance meinen.

DIE FURCHE: Im Vorschlag für die Nachhaltigen Entwicklungsziele lautet das Ziel Nummer 16: "Friedliche und inklusive Gesellschaften fördern; allen Menschen Zugang zu Gerichtssystemen bieten; effektive, rechenschaftspflichtige und inklusive Institutionen installieren." Wie lässt sich das unmissverständlich runterbrechen?

Sajdik: Dazu braucht man nur die Unterziele lesen. Eines besagt, dass bis 2030 alle Bürger der Welt eine Geburtsurkunde haben sollten. Das ist für uns Österreicher selbstverständlich, aber in manchen Ländern gibt es gar keine Geburtsurkunden. Wie soll man zur Schule gehen, eine Ausbildung machen, ein Unternehmen gründen, sein Recht einklagen, wenn man juristisch ein Niemand ist? Dieses Unterziel ist unglaublich wichtig und mitten aus dem Leben gegriffen.

DIE FURCHE: Im ECOSOC sitzen Länder, die sehr unterschiedlich entwickelt sind. Wird Good Governance von allen gleich gut aufgenommen?

Sajdik: Staaten wie Brasilien, Russland oder China und manche Entwicklungsländer, die keine demokratische Regierungsform haben, befürchten, dass das Konzept genutzt wird, um ideologische Kämpfe zu führen. Deswegen war das Ziel 16 der umkämpfteste Punkt bei den Verhandlungen der Nachhaltigen Entwicklungsziele. Die Opposition dieser Länder war irrsinnig groß.

DIE FURCHE: Lässt es sich überhaupt verhindern, dass man die Zivilgesellschaft eines Landes stärkt, ohne sie in eine bestimmte Richtung zu drängen?

Sajdik: Natürlich! Eine bunte, fragmentierte Zivilgesellschaft zu stärken, bedeutet ja nicht, dass man ein neues Regime einführen will. Auch eine Graswurzelbewegung, die Frauen ermöglicht, ein Kleingewerbe zu eröffnen, gehört da dazu. Und natürlich heißt es im Umkehrschluss: Wenn man Partizipation fördern will und auf eine breite Basis stellt, bedeutet das nicht, dass alles, was dann daraus entsteht, voll unseren Vorstellungen entspricht.

DIE FURCHE: Das klingt riskant: Für die Geldgeber, die nur hoffen können, dass die von ihnen unterstützte Entwicklung in die Richtung geht, die sie sich wünschen. Und für diejenigen, die Geld bekommen, und befürchten, dass Entwicklung forciert wird, die sie selbst nicht möchten?

Sajdik: In der Praxis funktioniert das anders. Wenn wo Hilfe geleistet wird, indem man klarlegt, wie Legistik oder Kontrollmechanismen funktionieren, ist das quasi eine Methodenschulung. Außerdem legen wir besonderen Wert auf die Rolle der Parlamente und obersten Kontrollbehörden.

DIE FURCHE: Und das wirkt den Ängsten entgegen?

Sajdik: Nun ja, der Grad der politischen Unabhängigkeit von Parlamenten oder Rechnungshöfen variiert. Aber wir sprechen von einem Prozess, der auf die nächsten 15 Jahre angelegt ist. Bis dahin arbeiten wir uns Schritt für Schritt vor. Wie sich Länder und Regierungsstrukturen entwickeln, ist schwer vorauszuplanen, aber die Institutionen sind da, und man soll sie im Sinne einer "guten Regierungsführung" stärken. Nichts anderes meint der Begriff Good Governance.

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