Wie soll man vom Morden berichten?

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Nach der erfolgreichen Uraufführung von "Rechnitz (Der Würgeengel)" an den Münchner Kammerspielen - auch bei den Wiener Festwochen zu sehen - setzt das Wiener Volkstheater auf das Spiel mit dem Körper. Regisseur Milos Lolic´ konzentriert sich nicht auf den Text, den Elfriede Jelinek als Botenbericht gestaltet hat, sondern auf Atmosphäre, Stimme, Energie.

Von dieser Nacht im März 1945, in der Gräfin Margit von Batthyány ihre Liebhaber sowie SS-und Gestapo-Männer zum Gefolgschaftsfest lud, kann nur schwer erzählt werden, denn wie soll man vom Mord an 180 jüdischen Zwangsarbeitern überhaupt berichten? Die wenigen Zeugen wurden ermordet, die Täter sind geflüchtet.

Jelinek installiert Boten, die - wie in der griechischen Tragödie -das Unfassbare wiedergeben sollen. Zugleich bezieht sie sich auf Luis Buñuels Film "Der Würgeengel", kehrt aber die Geschichte um: Nicht die Herrscher, sondern die Dienstboten werden zurückgelassen, wenn die Party zu Ende gegangen ist.

Botinnen berichten

Lolic´ zeigt diese Nacht in Rechnitz als surrealen Alptraum der Dekadenz, in dem die Figuren ständig die Rollen wechseln; Bote, Mörder und Opfer zugleich sind. Der Regisseur geht einen Schritt weiter und löst die Opfer aus der Ohnmacht der Erniedrigung und des Schweigens. Dieser sadistischen Gesellschaft, die ihre Lust aus der Macht zieht und sich am Töten wehrloser Menschen aufgeilt, setzt er die Stimmen afroamerikanischer Musikerinnen entgegen: Jelineks Text übertönen Musikvideos, die Lolic´ als wesentliches Inszenierungselement einsetzt. Beyoncé, Janet Jackson, Tina Turner, Whitney Houston, Aretha Franklin, Miriam Makeba und Nina Simone -deren "Ain't Got No /I Got Life" zum Höhepunkt der Inszenierung wird -singen für Frauen-und Menschenrechte. Sie sind die Botinnen, die von der systematischen Unterdrückung, von der selbsterklärten Vorherrschaft der "Weißen" berichten. Zu ihrer Musik und Choreografie bewegen sich die sieben Darsteller, während die Tänzerin Jasmin Avissar in hautfarbener Unterwäsche und schwarzen Domina-Stiefeln stumme Präsenz zeigt. In der Mitte sind die Türen des Schlosses zu einem Scheiterhaufen aufgetürmt. Sie zitieren ein Werk des chinesischen Künstlers und Regimekritikers Ai Weiwei und bilden die Projektionsfläche für die Videos.

Lolic´' Zugriff ist intelligent und stark, die Umsetzung aber funktioniert auf seltsame Weise nicht. Es ist, als hätte am Ende die Verve gefehlt, um die Energie dieser Mordgesellschaft hochzuziehen. So findet die Inszenierung nicht zu jenem Rhythmus, der ganz offensichtlich intendiert ist, und versackt auf halbem Weg.

Rechnitz (Der Würgeengel)

Volkstheater Wien 27. Dez., 10., 22., 28. Jänner

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