Wohin steuert Georgien?

Werbung
Werbung
Werbung

Kunst, Mode, Musik und Film aus der Kaukasusrepublik bei den Georgischen Festwochen in Wien.

Georgien - die meisten Zeitgenossen wissen wahrscheinlich gar nicht, wo sie den seit elf Jahren wieder unabhängigen Staat mit der Hauptstadt Tbilisi (Tiflis) auf der Landkarte suchen müssten. Doch erst jüngst hat die Heimat des sowjetischen Diktators und ehemaligen Priesterseminaristen Jossif Wissarionowitsch Dschugaschwili, genannt Stalin, die Region, in der Bertolt Brecht seinen "Kaukasischen Kreidekreis" ansiedelte, durch den neu aufgeflammten Tschetschenien-Krieg und eine verheerende Lawine im Nordkaukasus internationale Medienbeachtung gefunden. Der von massivem Druck begleitete Vorwurf des russischen Präsidenten Wladimir Putin an seinen georgischen Amtskollegen Edward Schewardnadse, er unternehme zu wenig gegen von Georgien aus operierende tschetschenische Terroristen, sorgte für Schlagzeilen. Die derzeit in Wien laufenden "Georgischen Festwochen" (16. September bis 14. Oktober), initiiert von den in Österreich lebenden georgischen Künstlern Nana Ansari und Giorgi Okropiridse, erregen weit weniger Aufsehen.

Dabei stellte der Auftakt der Veranstaltungsreihe in der Säulenhalle des Museums für Angewandte Kunst bewusst die Beziehung zur Politik her. Die georgische Designerin Maka Assathiany präsentierte, für Wien neu adaptiert, eine Modeschau. Das Programm war schon im Frühjahr in einem tschetschenischen Flüchtlingslager in einem georgischen Bergtal, das für extrem hohe Kriminalität, Drogenhandel und Entführungen bekannt ist, gezeigt worden. Sie legte es als politisches Statement und "kulturelle Antiterrorismus-Aktion" an: "Diese Modeparade soll vor allem zeigen, dass die Pankisi-Bergschlucht eher für den Frieden und nicht für den Krieg geschaffen ist." Zu einer Komposition von Nika Memanishvili bewegten sich Modelle mit futuristisch wirkenden Gewändern über den Laufsteg.

Das Festival steht unter dem Titel "Tabla" - er steht für "Tisch", aber nicht nur als Ort der Speisen, sondern auch als für die georgische Tradition typischer Treffpunkt einer kulturell interessierten Tafelgesellschaft. In diesen Wochen liegt Georgien nicht nur irgendwo hinter dem Schwarzen Meer, sondern es findet an mehreren Orten in Wien statt: nicht nur im Museum für Angewandte Kunst, sondern auch im Votivkino, im Museum Moderner Kunst, im WUK, in der Ruprechtskirche und im RadioKulturhaus.

Georgien, das antike Kolchis, das im 4. Jahrhundert christianisiert wurde, ist uralter Kulturboden. Die Festwochen brachten das vor allem durch den polyphonen Gesang des Anchiskhati-Chors, der die traditionelle liturgische Musik der orthodoxen Kirche pflegt, in der Ruprechtskirche zum Ausdruck. Ein Highlight des übrigen Musikprogramms verspricht noch ein Gesprächskonzert am 12. Oktober um 19.30 Uhr im Großen Sendesaal des RadioKulturhauses zu werden: Giya Kanchelli, der gegenwärtig berühmteste georgische Komponist, wird mit dem Pierrot Lunaire-Ensemble Wien auftreten.

Die erste Ausstellung im WUK befasste sich mit georgischer Fotokunst, von 4. bis 14. Oktober präsentiert dort Giorgi Okropiridse unter dem Titel "heim und zurück" Metallplastiken, verarbeitete Eindrücke von einem Aufenthalt in seiner alten Heimat, ergänzt von Fotos seines jüngeren Landsmanns Wato Zereteli.

Ein besonderer Schwerpunkt ist dem georgischen Filmschaffen gewidmet, Streifen wie "Lost Killers" von Dito Tsintsadze oder "En chemin" von Mikhail Kobakhidze erleben ihre Österreich-Premieren. Aber auch Giorgi Haindravas "Friedhof der Träume" und Werke von Otar Iosseliani sind im Votivkino zu sehen.

Wohin steuert Georgien, einst eine besonders wohlhabende Republik in der Sowjetunion, heute? Ein Ziel des Festivals besteht darin, Georgien als eine Brücke zwischen Orient und Okzident darzustellen. "Georgien - das Land dazwischen" steht über dem Symposium am 10. Oktober im Museum moderner Kunst, bei dem unter anderem der deutsche Vor- und Nachdenker Freimut Duve referieren wird. Vielleicht ist es gerade für Österreich, das sich ja auch stets in einer Brückenfunktion zwischen Ost und West gesehen hat, von besonderem Interesse, sich mit der kulturellen und politischen Rolle Georgiens zu befassen.

Informationen: Kunstverein Perron

www.perron.cc/tabla,

E-Mail: office@perron.cc,

1020 Wien, Untere Augartenstraße 21, Tel. 3507172, Fax 350717273)

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung