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An die Kommunisten ausgeliefert

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Hongkong wurde gegen den Willen der Bevölkerung an Peking ausgeliefert: Exgouverneur Patten und ein renommierter Journalist halten Großbritannien mit Enthüllungen in Atem - und mit der Preisgabe von Staatsgeheimnissen.

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Hongkong wurde gegen den Willen der Bevölkerung an Peking ausgeliefert: Exgouverneur Patten und ein renommierter Journalist halten Großbritannien mit Enthüllungen in Atem - und mit der Preisgabe von Staatsgeheimnissen.

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Sechs Millionen britische Bürger in Hongkong wurden gegen den Willen ihrer überwiegenden Mehrheit an die chinesische kommunistische Diktatur ausgeliefert: Die Veröffentlichung der höchst geheimen Geschichte, die das belegt, führte jetzt dazu, daß die New Labour-Regierung eine Untersuchung gegen Christopher Patten, den letzten Gouverneur von Hongkong, einleitete: Hat Patten das besonders strenge britische Staatsgeheimnisgesetz gebrochen? Premierminister Tony Blairs Wahlkampfleiter und Propagandachef Peter Mandelson, mittlerweile zum Minister ohne Portefeuille aufgestiegen (das bedeutet: Augen, Ohren und Mund von Tony Blair) hat diese Untersuchung über Patten formell angekündigt.

Die Untersuchung wurde von ehemaligen Diplomaten und vom Außenministerium mit Vehemenz gefordert - besonders vom ehemaligen konservativen Außenminister Sir Geoffrey Howe, der jetzt als Lord 1 lowe im Oberhaus sitzt. Langfristig fürchtet auch die New Labour Party Christopher Patten: denn der jetzt 53jährige könnte einen Unterhausplatz erobern und schon vor den nächsten Unterhauswahlen im Jahr 2002 Führer der Konservativen werden.

Geheimnisverrat?

Tatsächlich gibt es keinen Zweifel daran, daß Patten das britische Staatsgeheimnisgesetz gebrochen hat. Millionen Briten haben dies selbst gehört und gesehen: Während seiner fünf Jahre als letzter Gouverneur von Hongkong gab er dem berühmten britischen Fernsehjournalisten Jonathan Dimbleby eine Vielzahl von Interviews (faszinierende „Weltgeschichte” vor laufenden Kameras), die erst während der letzten Wochen im britischen Fernsehen gesendet wurden; außerdem arbeitete Patten mit dem Journalisten bei Dimblebys Buch „Der letzte Gouverneur”, das dieser Tage erschien, intensiv zusammen.

Die Interviews enthielten unzählige Brüche des Staatsgeheimnisgesetzes, und im Buch ist viel Material aus britischen Geheimdienstdokumenten der höchsten Geheimhaltungsstufe, die Patten nur unter der Bedingung totaler Geheimhaltung und Vernichtung sofort nach dem Lesen bekam. Laut Buch und laut Pattens Fernsehinterviews wurden die Bürger von der konservativen britischen Regierung nicht nur belogen und verraten, sondern an das kommunistische China verkauft, was Patten mit Tatsachen bewies, die aber alle als Staatsgeheimnisse qualifiziert waren.

Peter Mandelson erklärte offiziell im Namen der Blair-Regierung: „Es wäre verantwortungslos von der Regierung, nichts zu tun, wenn es scheint, daß Geheimdienstmaterial veröffentlicht wurde.”

Auch Christopher Patten war Kabinettsminister und konservativer Parteivorsitzender, der 1992 Premierminister John Majors siegreichen Wahlkampf leitete. Er verlor nur deshalb seinen eignen sicheren Unterhausplatz als Abgeordneter für den Wahlkreis Bath, weil er im Wahlkampf fast niemals in Bath sein konnte.

Als Belohnung für den Wahlsieg, der Patten eben den eigenen Unterhausplatz kostete, ernannte ihn John Major zum letzten Gouverneur von Hongkong. (Patten, damals 48 Jahre alt, wollte kein Lord werden.) Als letzter Gouverneur gab Patten den Bürgern von Hongkong mehr Demokratie, als sie jemals vorher hatten.

Damit brach er bewußt das Abkommen zwischen Margaret Thatchers konservativer Regierung und der kommunistischen Regierung von China. Er liebte die Menschen in Hongkong, und die meisten liebten ihn. Zweifellos hat Patten den auf britischer Beschwichtigung der chinesischen Kommunisten (das englische Wort dafür: „Appeasement”) beruhenden Beziehungen zwischen Großbritannien und China enorm geschadet. Ständig erinnerte er an das Massaker am Tian'anmen-Platz in Peking im Juni 1989. In diesem Zusammenhang ist sicher bedeutsam, daß Patten ein sehr engagierter römisch-katholischer Christ ist.

Obwohl Patten zweifellos das britische Staatsgeheimnisgesetz brach, wird er nicht vor Gericht gestellt werden. Darüber entscheidet nur der At-torney General John Morris, ein New Labour Kabinettsminister.

First-class Journalist

Der journalistische „Akteur” in der aktuellen Affäre, Jonathan Dimbleby, gehört zu einer einzigartigen Rundfunk- und Fernsehdynastie. Sein älterer Bruder David Dimbleby ist einer der prominentesten BBC-Fernseh-journalisten. Ihr verstorbener Vater Richard Dimbleby galt als der führende BBC-Radioreporter, danach viele Jahre als prominentester BBC-Fernsehjournalist.

Im April 1945 war Richard Dimbleby als BBC-Kriegsberichterstatter mit der britischen Armee in Norddeutschland als einziger Journalist bei der britischen Befreiung des entsetzlichen Nazi-Konzentrationslagers Ber-gen-Belsen anwesend. Die BBC, damals unter Regierungskontrolle, weigerte sich, Richard Dimblebys Bericht über Bergen-Belsen zu senden, weil die britische Regierung überzeugt war, die von Dimbleby erlebten grauenhaften Einzelheiten würden die jüdische Forderung nach einem Nationalstaat in Palästina unterstützen. Richard Dimbleby drohte, die BBC sofort zu verlassen und eine Pressekonferenz über Bergen-Belsen zu geben. Nur deshalb sendete die BBC seinen Bericht.

Keine Preisgabe der Quellen

Jonathan Dimbleby sagte zu seinem Buch über Patten nur: „Selbstverständlich werde ich meine Informationsquellen nicht bekanntgeben. Ich will, daß die Untersuchung alle Dokumente sehen soll!”

Doch in Großbritannien müssen Journalisten vor Gericht ihre Informationsquellen bekanntgeben, wenn ein Richter es befiehlt. Großbritannien hat keine Verfassung, und Pressefreiheit ist in Großbritannien kein gesetzlich verbrieftes Recht, sondern nur Gewohnheitsrecht.

In einem Prozeß gegen Christopher Patten könnte Dimbleby daher gezwungen werden, in den Gerichtssaal zu kommen, und er müßte ins Gefängnis, wenn er sich weigerte, seine Informationsquellen zu nennen. Er würde sich weigern. Aber es scheint undenkbar, daß Tony Blairs New Labour Regierung einen solchen Prozeß wünschte - mit Jonathan Dimbleby, dem Sohn von Richard Dimbleby, im Gefängnis aufgrund seines Beharrens auf journalistischer Berufsethik.

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