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Der Tote im Flufbett

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Der Neugier eines Jagdhundes ist es zu verdanken, daß das monatelange Rätselraten um den Verbleib des hervorstechendsten Führers der portugiesischen Opposition ein ebenso spektakuläres wie unerwartetes Ende gefunden hat. Am 24. April scharrte nämlich ein Jagdhund aus einem Steinhaufen in einem trockenen Bachbett, nur wenige hundert Meter von der spanisch-portugiesischen Grenze entfernt, die verwesten Reste des ehemaligen Fliegergenerals und Präsidentschaftskandidaten der portugiesischen Opposition, Humberto Delgado, hervor. Unweit dieser makabren Fundstelle stieß man später auf die Leiche der Brasilianerin Sohaira Campos, der unzertrennlich mit dem Oppositionspolitiker verbundenen Sekretärin.

Im Februar traten Gerüchte auf, daß Humberto Delgado in einem Hotel der spanischen Grenzstadt Badajoz gesehen, von der spanischen Polizei verhört und über die Grenze nach Portugal abgeschoben worden sei. Sicher ist nur, daß ein am 14. Februar in Badajoz abgestempelter Brief Delgados existiert. Sicher ist ferner, daß zwei Personenautos am 13. Februar an dem trockenen Bachbett an der portugiesischen Grenze parkten. Seither fehlte jegliche Spur von Delgado. Daß einige herrenlose Koffer in einem Hotel in Badajoz herumstanden, schien niemand viel zu kümmern.

Am wenigsten wohl die PIDE, die portugiesische Sicherheitspolizei, die ansonsten größtes Interesse für den Aufenthaltsort unliebsamer portugiesischer Politiker bekundet. Doch ist es schon vorgekommen, daß die PIDE dieses Interesse plötzlich verliert, wie im Fall des 1960 verschwundenen und später verstümmelt am Meeresstrand aufgefundenen Putschisten Almeida und zweier Mitverschworener.

Natürlich gibt es mehrere Thesen über das Tatmotiv im Falle Delgado, so die, daß es sich um eine Abrechnung innerhalb des „Portugiesischen Befreiungskomitees“, dessen Chef Delgado war, gehandelt habe. Dafür spricht, daß der portugiesische Kommunistenführer Ctm-hal, leitendes Mitglied des „Befreiungskomitees“, sdch im Vorjahr mit Delgado überwarf, weil er, entgegen der Meinung Delgados, die Zeit für einen von Algerien aus geleiteten bewaffneten Aufstand in Portugal nicht für reif hielt. Für diesen Coup gegen das Salazar-Regime hält Del-gado-Freund Ben Bella Waffen und Geld bereit. Tausende portugiesische Emigranten sollen außerdem in Algerien militärische Ausbildung unter Delgados Leitung erhalten haben. Nach aus Algier stammenden Informationen sollte der Staatsstreich in diesem Mai stattfinden. Es ist daher unwahrscheinlich, daß Cunhal den Befehlshaber der „Invasionsarmee“ vor der Invasion Portugals beseitigen ließ. Außerdem dürfte Cunhal nicht unbekannt sein, daß Delgado sich seit seiner Aufstellung als Präsidentschaftskandidat der Opposition bei den Wahlen von 1958, bei denen er im Mutterland 30 Prozent der Stimmen und in der überseeischen Provinz Angola gar 45 Prozent auf sich vereinigen konnte, einer unwandelbaren Beliebtheit bei den Regimegegnern erfreut. An dieser Beliebtheit bei den portugiesischen Oppositionellen aller Richtungen konnte auch die zwielichtige Rolle, die Delgado bei dem Piratenstreich auf das Passagierschiff „Santa Maria“ im Jänner 1961 gespielt hatte, nichts ändern.

Seit der Fliegergeneral Delgado nach seiner 1959 wegen — damals noch demokratischer — Oppositionstätigkeit erfolgten Degradierung Portugal verlassen hat, um vorerst in Brasilien Asyl zu finden, nannte“,er Sich „Präsident der Portugiesischen Republik im Exil“. In Wirklichkeit war er jedoch ein rastlos Reisender, der mit allen Kontakt suchte, die ihn in seinem Kampf gegen das Salazar-Regime unterstützen konnten. So kam der ehemalige Salazar-Freund und spätere Demokrat in die Gesellschaft Fidel Castros, der sofort nach Konsolidierung seines Regimes an die Organisierung der iberischen Opposition ging und mit Delgado zusammen den DRIL, das „Revolutionäre Direktorium der iberischen Befreiung“, ins Leben rief, dessen Ziel der Sturz Salazars und Francos war. Nach dem Handstreich auf der „Santa Maria“ und dem mißglückten Putsch in der südportugiesischen Garnison Beja hauchte der DRIL seinen revolutionären Geist aus.

Das „Befreiungskomitee“, mit Hauptsitz in Algier, brachte Delgado in engsten Kontakt mit kommunistischen Exilpolitikern in Prag, Rom und Paris. Dank dieser Verbindungen begannen die Gelder für die „Befreiung“ Portugals kräftiger zu fließen. Delgado erhielt Kredite aus kommunistischen Parteifonds; Subskriptionen wurden für ihn eröffnet. Mit einem algerischen Paß auf den Namen Lorenzo Ibanez und mit Geld gut versorgt, entfaltete Delgado hauptsächlich in den letzten Monaten vor seiner Ermordung eine rege Reisetätigkeit. Wegen der in seinem Besitz befindlichen Mittel entstand auch die Theorie, daß Delgado seines Geldes wegen umgebracht worden sei. Eine höchst fadenscheinige Theorie allerdings, denn ein Raubmörder hätte sich wohl kaum die Mühe genommen, die ganze „Equipe Delgado“ einzeln zu ermorden und an verschiedenen Orten zu verscharren. Denn außer Humberto Delgado und seiner Sekretärin wurden bei dem Grenzort Villanueva die beiden Leichen der mit Delgado reisenden „Befrei-ungskomitee“-Mitglieder gefunden.

Unter diesen Umständen ist es nicht verwunderlich, daß Spanien über den Leichenfund in seinem Grenzgebiet reichlich verärgert ist. Diplomatische Beobachter in Madrid behaupten sogar, daß die Beziehungen zwischen Spanien und Portugal „nie schlechter gewesen sind als jetzt“.

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