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EARL OF HOME / DIE REALITÄT UND DAS GLÜCK

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Der Überraschungscoup, mit dem Harold Macmillan seinen Nachfolger auf seinen Sessel gesetzt hat, ist voll und ganz gelungen. Der Earl of Home sah sich zunächst einer Front von Gegnern in der eigenen Partei gegenüber. Seine Rivalen um das Amt des Regierungschefs hatten sich, nachdem sie die Sache einmal überschlafen hatten, am Samstagmorgen zur Mitarbeit unter seiner Führung bereit erklärt.

Der neue Premierminister ist am 2. Juli 1903 geboren. Er besuchte — wie Eden und Macmillan — die Schule von Eton und studierte am Christ Church College in Oxford Geschichte. Nack dem Examen wandte er sich der Politik zu und wurde Präsident der Scottish Unionist Association. Der

Wahlkreis Coatbridge stellte ihn bei der Parlamentswahl von 1929 als konservativen Kandidaten auf, jedoch erlitt er eine Niederlage. Im Jahre 1931 wurde er für Lanark, ebenfalls einen industriellen Wahlkreis, in dem die Bergarbeiter stark vertreten sind, ins Parlament gewählt. Diesen Sitz hatte er mit Ausnahme der Jahre 1945 bis 1950 inne, bis er ins Oberhaus einzog.

Während seiner ersten vier Jahre im Unterhaus war der damalige Lord Dunglass Parlamentarischer Privatsekretär des Staatssekretärs im Ministerium für Schottische Angelegenheiten. Nachdem er in der gleichen Eigenschaft unter zwei anderen Staatssekretären gearbeitet hatte, wurde er im Februar 1936 Parlamentarischer Privatsekretär des damaligen Schatzkanzlers Neville Chamberlain. Dies war der Beginn einer freundschaftlichen Verbindung, die bis zum Ausscheiden Chamberlains aus der Politik kurz vor seinem Tod dauerte. Lord Dunglass arbeitete für Chamberlain, als dieser in den schwierigen Jahren vor dem Krieg Premierminister war, und begleitete ihn auch nach Deutschland zur schicksalsschweren Münchner Konferenz im Jahre 1938. Nach Chamberlains Rücktritt trat Lord Dunglass, der lange Zeit Offizier war, erneut in die Armee ein. Bei den Wahlen von 1945 verlor Lord Dunglass seinen Sitz, den er jedoch 1950 wieder zurückgewann. Seit dem Tod seines Vaters im Juli 1951 gehört er als Lord Douglas dem Oberhaus an. Als im Herbst 1951

die Konservativen wieder an die Macht kamen, erhielt Lord Home den neugeschaffenen Posten eines Staatsministers im Ministerium für Schottische Angelegenheiten. Mit seiner Amtsübernahme wurde er gleichzeitig zum Mitglied des Gekeimten Staatsrats ernannt.

In der Amtszeit Lord Homes als Minister für Commonwealth-Beziehungen — 1955 bis 1960 — erfolgte eine ganze Reihe von Veränderungen in den Commonwealth- Staaten, und sein Verantwortungsbereich wurde durch den Einschluß der Beziehungen zu der neuen Föderation von Malaya und dem unabhängigen Ghana weiter ausgedehnt. In seiner Eigenschaft als Minister für Commonwealth-Beziehungen besuchte er zahlreiche Commonwealth-Länder.

Bei der Regierungsumbildung vom 27. Juli 1.960 wurde der Lord Außenminister und konnte so dem Premierminister — 1957 löste Macmillan Eden in diesem Amt ab — in die Karten schauen. Die britische Politik der letzten Jahre ist ihm also durchaus vertraut.

Was erwartet die Zukunft vom neuen britischen Premierminister? Nun, vor allem einen Gegenpol zur Wirtschaftspolitik Harold Wilsons, aber auch den Beweis, daß die Konservativen mit Lord Home an ihrer Spitze Macmillans „Politik des Wandels“ fortzusetzen gewillt sind. Lord Home soll Großbritannien in jener zweiten industriellen Revolution führen, zu der sich seine Partei seit 1945 freimütig bekennt. Was die Widersacher in der eigenen Partei fürchteten, nämlich einen Ruck nach rechts, eine Absage an die Prinzipien eines Mac- leod oder eines Butler, wird wohl nicht eintreten.

Die Opposition schießt gegen Lord Home Sperrfeuer. Auch nicht die leiseste Andeutung einer gewissen Zusammenarbeit ist aus den ersten Kommentaren der Labour-Presse herauszulesen: So sagte Harold Wilson in einer Rede — unmittelbar nach dem Bekanntwerden der Wahl Lord Homes —, die ganze Welt sei Zeuge gewesen, daß die Regierungspartei Großbritanniens im Jahre 1963 ihre Führer und den Premier des Landes „mit den Mitteln einer aristokratischen Kabale“ gewählt habe. Die feudale Abstammung wird als politische Waffe gegen Home bald abgenützt sein. Wie werden sich seine Gegner dann verhalten? Schwierigkeiten gibt es also genug. Der Premierminister ist nicht mehr Regierungschef eines Empire. Der britische Löwe ist zahnlos geworden.

Lord Home wird in das Amt erst hineinwachsen müssen. Allerdings zeigte der Lord schon als Außenminister, daß er die geschickten politischen Schachzüge seines Vorgängers nicht immer mitzumachen gewillt war. Der Realpolitiker behielt in ihm die Oberhand. Dieser gesunde Blick für die Realität, aber auch ein gehöriges Maß an Glück werden den schottischen Earl — dies ist ihm zu wünschen — über den Rang eines Platzhalters für einen „starken Mann“ hinausheben.

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