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Kleine Koexistenz

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Der zehntägige Staatsbesuch des österreichischen Bundespräsidenten in Moskau wird von Kreisen der westlichen Weltöffentlichkeit mit großem Interesse beobachtet.

Die Oesterreicher sind die ersten in Moskau, die nach der Chinavisite und nach dem Amerikabesuch Chruschtschows Gelegenheit haben, die sowjetische Führung zu sprechen. Wie steht es mit der großen Koexistenz? Oesterreich ist an ihr naturgemäß interessiert und wird eben deshalb in Moskau die kleine Koexistenz im Donauraum mit zur Debatte stellen. Früher einmal spielten sich die Kämpfe um diese kleinere Koexistenz innerhalb des Staatsgebildes des Zwölfvölkerstaates der Donaumonarchie ab. Was bekanntlich nicht immer bedeutete, daß diese Auseinandersetzungen stets ohne Reibungen abgegangen sind. Heute sind die „Beziehungen" zwischen Oesterreich und seinen alten Nachbarn Ungarn und der Tschechoslowakei auf ein Minimum eingeschrumpft, staatlicherseits. Die ungarische Katastrophe von 1956, Prager Unfreundlichkeiten an die Wiener Adresse ließen kleinere Versuche einer Lockerung einfrieren. Nun wissen aber die Völker des Donauraumes ebenso wie ihre Regierungen in den Volksdemokratien, daß viele alte Bande durchaus nicht zerrissen sind. Es bedürfte nur eines Winkes von oben her, um zunächst die Menschen, dann einige kulturelle Verbindungen, des weiteren wirtschaftliche Beziehungen im Donauraum zu beleben: zu Nutz und Frommen der Völker daselbst . ..

Wird Moskau diesen Wink geben? Diesen Wink nach Prag, nach Budapest? Die österreichische Regierung hat ihrerseits durch ihre Erklärung, der Belgrader Donaukonvention beizutreten, ihre Bereitschaft zu wirtschaftlicher Zusammenarbeit im Donauraum gegeben.

Was kann das kleine Oesterreich heute der großen Sowjetunion bieten? Bieten etwa für eine Lockerung im Donauraum — und das würde wohl über kurz oder lang bedeuten, daß, im Rahmen des Möglichen und im Raum des Ostblocks, den Ungarn und Tschechen etwas mehr innere Freiheit zugestanden würde, so daß die zahlreichen Zwangsbestimmungen zugunsten eines den polnischen Verhältnissen vergleichbaren innenpolitischen Zustandes aufgehoben würden. Denn dies ist für Oesterreich wesentlich: uns kann es im Donauraum nicht um Waffen, und auch nicht in. erster Linie um Waren gehen, wohl aber um die Menschen. Die hier mehr Freiheit brauchen, als sie bisher erhalten haben. Ohne innenpolitische Lockerung in Prag und Budapest gibt es keine ersprießliche Entwicklung der kleinen Koexistenz.

Was aber hat Oesterreich Moskau zu bieten? Etwas sehr Kostbares, was der Kreml durchaus international in die Waagschale zu werfen weiß: einen guten Leumund. Die Sowjetunion hat sich in den Jahren 1955 bis 1959 peinlich genau an die Achtung der österreichischen Neutralität gehalten. Wenn einmal die große Koexistenz Wirklichkeit werden solLjnuß ein riesiges Kapital erworben werden: ein Kapital an Vertrauen. Tn der Behandlun Oesterreichs hat die UdSSR in diesem Sinne einen international vielbeachteten Anfang gemacht.

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