Zombie - © Kevin Phillips / Pixabay

Zombie-Lust und -Faschismus

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Zu leben, ohne lebendig zu sein: Diese Urangst speist diverse Zombie-Erzählungen. Aber auch militante Verachtung kann sich dazugesellen.

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Zu leben, ohne lebendig zu sein: Diese Urangst speist diverse Zombie-Erzählungen. Aber auch militante Verachtung kann sich dazugesellen.

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Der Zombie-Boom scheint bisher nichts an Attraktivität zu verlieren. Die Lust, sich mit dem Thema zu beschäftigen, auf welchem Niveau auch immer, hält an. Was wir in den Niederungen des US-Popcornkinos schon längst haben, die Umformung des Fremdlings - Deckname für alles, was "von außen" kommt, ob vampirisches Alien oder virenverseuchter Einwanderer - hat längst auch die europäische Populärkultur erfasst. Wann kommt der "Asylanten-Zombie"?

Daneben gibt es freilich auch den "Nazi-Zombie", man denke nur an die "Wolfenstein"-Serien, und schließlich den hochkulturellen Zombie, der vor der Philosophie nicht haltmacht. Der "Philosophen-Zombie" entstammt der spekulativen Frage seit René Descartes: Könnten wir ein Wesen erkennen, das sich von einem normalen Menschen in nichts unterscheidet außer dadurch, dass es über keinerlei Bewusstsein verfügt.

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Existenzielle Dramatik

Was hat es mit der Zombie-Faszination auf sich? Das Fehlen des Bewusstseins allein überspielt die existenzielle Dramatik des Zombies. Sie liegt darin, dass der Zombie ein Wesen ist, das lebt, ohne lebendig zu sein. Der Zombie repräsentiert ein Geschöpf aus jenem Reich des ontologischen Mangels, vor dem das Göttliche zurückschreckt: Keine Seele!

Folgt man Max Brooks "Zombie Survival Guide", einem satirischen Ratgeber mit Bestsellerstatus (New York 2003), dann wäre die Invasion der Zombies als ein Unfall der Natur zu betrachten. Brooks Zombie ist das Ergebnis der Menschheitsinfektion mit einem Virus, welches zwecks Vermehrung das Gehirn zuerst abtötet und es anschließend in ein neues Organ umformt. Dieses benötigt ebenso wie der restliche Organismus keinen Sauerstoff mehr.

So entsteht der Untote, der tierisches und menschliches Fleisch in sich hineinschlingt, ohne es zu verdauen; das Aas verwest im inaktiven Verdauungstrakt und wird von den nachschiebenden Fleischmassen wieder aus dem Körper gedrückt. Denn obwohl empfindungslos, empfindet der Zombie merkwürdigerweise doch pausenlos rasenden Hunger.

Jeder, der noch kein Zombie ist, hat die Pflicht, im Dienste der Menschheitsrettung so viele Zombies wie möglich zu terminieren. Folgerecht türmen sich in dem Splattermovie-Klamauk "Zombieland"(2009, Regie Ruben Fleischer) die Haufen getöteter Untoter regelrecht turmhoch. Dem Massaker zuzuschauen, macht Gruselspaß, weil der Zombie etwas Blind-Böses in sich trägt, das ihn mit der Schreckens- und Gruseltradition der seelenverstümmelten, seelenlosen Nachtwesen in Verbindung bringt.

Die Liste derartiger Wesen ist lang: Werwölfe, Vampire, Wiedergänger. Die Gefahr, die von jenen Kreaturen ausgeht, liegt nicht einfach darin, dass sie kein Bewusstsein haben und daher zu Gefühlen unfähig sind - ein Motiv, das in den modernen Vampir-Geschichten zugunsten der "Tragik" und "Tiefe" solcher Charaktere oft vollständig fallengelassen wird. Nein, die eigentliche Crux der Denaturierten scheint - entgegen dem Brooks-Zombie - metaphysischer Art zu sein: Es handelt sich um totes Leben, ein Leben ohne Lebendigkeit.

Wie es teenageradäquat gemacht wird, hat Michael Jackson in seinem Musikvideo zum Song "Thriller" demonstriert (1983, Regie John Landis). Darin verwandelt sich der singende und tanzende Protagonist auf mehreren Ebenen in ein Monster, zuerst in einen Werwolf, dann in einen Zombie, und ganz zum Schluss, nachdem sich alles scheinbar als ein böser Traum entpuppt hat, wieder in ein dämonisches Wesen: Grusel-Happy-End. Die perfekt inszenierte Szenerie funktioniert, weil hinter der jugendfreien Präsentation uralte Ängste durchblitzen.

Säkulare Zombie-Ästhetik

Mittlerweile hat sich eine säkulare Zombie-Ästhetik entwickelt. Seit 2010 erfreut sich die US-Serie "The Walking Dead" über viele Staffeln hinweg weltweiter Beliebtheit. Gewiss, es geht darin um die "großen Gefühle" und "kleinen Schwächen" der Lebenden und Überlebenden. Diese beziehen ihr existenzielles Gewicht jedoch aus der Bedrohung, der Umzingelung durch die Heere der Untoten und Seelenlosen. Krächzen, Grunzen, unartikuliertes Geschrei kommt aus Mündern mit spitzen Zähnen, von denen die Überreste grauenerregender Mahlzeiten hängen. Eiterpusteln platzen auf, Gesichtshaut schält sich ab. Ohren, Nasen und Augen lösen sich, ganze Gliedmaßen können bei dem Versuch, an Frischfleisch zu kommen, auf der Strecke bleiben.

Der säkularisierte Zombie entstammt eher dem Arsenal der Geisterbahn als dem romantischen Repertoire der Untoten. Dass er ekelerregend und gefährlich ist, verdankt sich einer innerweltlichen Katastrophe. Er ist Ausdruck einer Welt, worin der Geist und sein Ethos keinen Platz mehr haben. In einer solchen Welt wird das Gute eigentümlich fahl. Und auch das Glück bekommt einen falschen Glanz. Was fehlt, ist Seelentiefe. Es sind die Vielen, die Viel-zu-Vielen, die herumwimmeln

Das Leblose scheint plötzlich dort zu regieren, wo anscheinend ein durchschnittlich friedlicher, durchschnittlich moralischer und durchschnittlich achtenswerter Mensch zu würdigen wäre. 2015 erschien Peter Handkes Stück "Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße". Die Unschuldigen in diesem Schauspiel sind die Blind-Bösen, wie sie sich schon bei Nietzsche in der Gestalt der "letzten Menschen" finden, von denen es heißt, sie seien unaustilgbar wie die Erdflöhe. Später trifft man sie wieder bei Oswald Spengler und Martin Heidegger, die an den Untergang des Abendlandes die Hoffnung knüpften, der Durchschnittsmensch mit seiner normierten, flachen Empfindungs-und Denkfähigkeit, die zu keiner "menschlichen" Hochlage mehr fähig sei, werde einer neuen Menschheit Platz machen.

Wimmelnde Seelenlosigkeit

Bei Peter Handke ist nun sogar von einer "Pandemie der Unschuldigen" die Rede. Sein Protagonist namens ICH sagt im Stück: "Wärt ihr doch wenigstens schuldig. Aber ihr seid nur ein Übel, das Übel der Übel. Einer von euch allein: Er wimmelt, und wimmelt. Dabei will ich ja glauben, ihr seid, wie ihr seid, gottgewollt, aber es gelingt mir nicht. Ihr könnt nicht Gottes Wille sein, anders als die Bösen vor euch. Hitler, Adolf und Stalin, Josef, kommt zurück, da hätte man wenigstens einen zu bekämpfen, wenigstens einen mit einem Namen ..."

Diese Passage ist eine Variation über das Zombie-Thema. Sie spiegelt den Abscheu angesichts eines Menschenschlags wider, dessen Mitglieder zugunsten des allgemeinen Geplappers, der sinnleeren Erregungslust und einer "gutmenschlichen" Scheinmoral darauf verzichtet haben, noch Individuum zu sein. Vor Gott indessen wird alles, was der Individualität entbehrt, zum Gegenteil dessen, was ein Abbild Gottes, eine Imago Dei, sein könnte; all das verfällt der wimmelnden Seelenlosigkeit.

Handkes "Landstraße" ist ein unscheinbar mythischer Seelenort, der an Heideggers "Feldweg" gemahnt. Über ihn heißt es in der gleichnamigen Schrift des Philosophen: "Die Gefahr droht, dass die Heutigen schwerhörig für seine Sprache bleiben. Ihnen fällt nur noch der Lärm der Apparate, die sie fast für die Stimme Gottes halten, ins Ohr. So wird der Mensch zerstreut und weglos." Von jenem Menschen breitet sich der Tod im Leben aus.

Unter den archetypischen Ängsten findet sich die Urangst allen geisterfüllten Lebens - die Angst, der Lebendigkeit entbehren zu müssen. Jeder von uns ist in der Lage, diese Angst zu verstehen. Heidegger und Handke sprechen als Denker und Dichter, die ihrer Vision des Menschen Ausdruck verleihen. Andere jedoch sprechen unter einem rabiat politischen Vorzeichen. Und unter diesem Vorzeichen gesellt sich dann zum Nazi-Zombie aus Comics und Computerspiel eine Art Zombie-Faschismus - das heißt: die militante Verachtung der "seelenlosen Masse".

Buch

Von Göttern und Zombies

Die Sehnsucht nach Lebendigkeit
Von Peter Strasser
Wilhelm Fink 2016
124 Seiten, kart., € 17,40

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