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Theaterfallen in Wiener U-Bahn-Stationen: Im Rahmen des Gehörlosentheaterfestivals machten zwei Schauspieler im Mini-Dramolett "Streit" auf die Gebärdensprache aufmerksam.

Zwei Männer sitzen in der U 1, sie reden miteinander, doch man hört es nicht. Sie sprechen die Gebärdensprache. Niemand nimmt Notiz. Einer der beiden, Thomas Lackner, trägt einen Klapptisch, der andere zwei Klappsessel.

In der Station "Alte Donau" steigen sie aus. Es ist zugig und kalt, akustisch gleitet die U-Bahn über die Trasse, mit lautem Getöse rattert ein Autobus vorbei, gefolgt von einem Lastkraftwagen.

Georg Horngacher hört von all dem nichts. Von Geburt an ist die Welt für ihn still. Seelenruhig stellt er die Sessel auf und setzt sich. Thomas Lackner klappt den Tisch dazu, beide warten, bis die ersten Passanten kommen. Die "Theaterfalle" ist ausgelegt. Sie setzen ihre Hüte auf, das Spiel beginnt. Gezeigt wird der "Streit", ein absurd-komisches, gesellschaftskritisches Stück des russischen Autors Daniil Charms. 1931/32 wurde er wegen politischer Gründe aus Leningrad verbannt.

In seiner Anschaulichkeit eignet sich der "Streit" wunderbar für die Umsetzung in die Gebärdensprache. Charms kurze, prägnante Kritik an Klassen, Vorurteilen und unterschiedlichen Denkweisen lässt sich leicht auf die Situation der Gehörlosen anwenden. Ihre Sprache ist in Österreich nicht anerkannt.

"Ich bin ein Prinz!" Lackners Stimme füllt den Raum, mit erhabender Geste macht er eine Handbewegung, als ob ein Strahlen von seiner Brust ausginge. "Und was folgt daraus, dass ich ein Prinz bin?" Horngachers fliegende Hände sagen mehr als tausend Worte. "Dass ich dich jetzt mit Suppe vollspritze!", übersetzt Lackner als synchroner Dolmetscher. Einige Passanten heben den Kopf und halten kurz im schnellen Schritt inne, dann gehen sie weiter. Sie verpassen das witzige Ende und den Verlauf der Debatte. Wer dem Mini-Dramolett folgt, wird auf die Vielfalt der Gebärden stoßen: für "Du bist ein Schwein!" gibt es zwei Gesten. An der "Alten Donau" kriegt das keiner mit, die beiden packen ihre spärlichen Requisiten ein, nehmen die Hüte ab und fahren eine Station weiter.

"Praterstern", der nächste öffentliche Spielort. "Was wird denn das?" fragt eine Dame neugierig. Oliver Aitzetmüller, der als stiller Beobachter mit informativen Flugzetteln für alle parat steht, die aufmerksam zusehen, gibt Auskunft. "Gehörlosentheater? Diese zwei Herren?" ungläubig kopfschüttelnd und zornig dampft die alte Dame ab, dem Zettel schenkt sie keinen Blick. "Ich bin ein Prinz!" Einige bleiben stehen. Zwei Buben mit aschblond gefärbter Igelfrisur sehen fasziniert zu, sie nehmen die Flugzettel gern. Beim Weitergehen machen sie begeistert die Geste vom Schwein und vom Suppelöffel nach und heften sich an die Fersen der Schauspieler.

Am "Nestroyplatz" sind sie wieder im Publikum. Die Resonanz für den "Streit" wird besser, Oliver Aitzetmüller kriegt immer mehr Zettel los, spontaner Applaus brandet auf. Horngachers Miene bleibt unbewegt. Auf der Rolltreppe begreift der hörende Kollege: er übersetzt das Klatschen in die Gebärdensprache. Mit den Händen über der Schulter wacheln, oder so ähnlich. Horngacher lächelt zufrieden. Am "Schwedenplatz" versteht er schon. Jovica, der heute Schule schwänzt, ist ganz begeistert. "Darf ich mitkommen?" fragt er. Das kann Horngacher nicht verstehen, aber er sieht wieder ein bekanntes Gesicht bei der nächsten Station. Die "Theaterfalle" ist zugeschnappt. Nach dieser Tour werden sich vielleicht ein paar Hörende merken, dass es die Gebärdensprache gibt. Die Sprache von etwa einer halben Million hörbehinderte Menschen und 8.000 von Geburt an gehörlosen in Österreich.

Tipp

Informationen zum Gehörlosentheaterfestival: www.arbos.at oder Theater des Augenblicks, Edelhofg. 10, 1180 Wien, Tel.: 479 6887

www.theaterdesaugenblicks.net

Informationen zur Situation der Gehörlosen: WITAF, Kleine Pfarrg. 33, 1020 Wien,

Tel: 214 5874-0

www.witaf.at

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