Bildungskarenz - © Foto: iStock/AleksandarNakic

Bildungskarenz: Braucht es eine bezahlte Auszeit?

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Vor mittlerweile 25 Jahren wurde die Bildungskarenz eingeführt, um lebenslanges Lernen zu ermöglichen und durch Weiter-Qualifizierung Jobs zu sichern. Bis heute wird dieses Instrument jedoch vor allem als Übergangslösung genutzt. Eine Bestandsaufnahme.

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Vor mittlerweile 25 Jahren wurde die Bildungskarenz eingeführt, um lebenslanges Lernen zu ermöglichen und durch Weiter-Qualifizierung Jobs zu sichern. Bis heute wird dieses Instrument jedoch vor allem als Übergangslösung genutzt. Eine Bestandsaufnahme.

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Laurenz arbeitete über Jahre als Leiter der Marketingabteilung eines steirischen Unternehmens. Der heute 40-jährige Grazer war in seinem Job nicht glücklich. Er wollte seinen Job wechseln, erwog die Kündigung, schreckte aber vor einer Lücke im Lebenslauf zurück. Von einer Bekannten erhielt er den Tipp, um Bildungskarenz anzusuchen. Seine Firma hatte keinen Nachteil, für die finanzielle Entschädigung kam das AMS auf.

Der studierte Wirtschaftswissenschafter konnte sich also eine Auszeit nehmen. Er zog für ein halbes Jahr nach Italien und absolvierte einen Sprachkurs – das AMS akzeptiert den Kurs als Weiterbildung. Danach machte Laurenz eine Fortbildung für kreative Schaufenstergestaltung – ebenfalls als Teil der Bildungskarenz. Nach elf Monaten des Lernens fand Laurenz einen Arbeitsplatz als Marketingmanager. Italienisch oder Schaufenstergestaltung sind seither nicht Teil seines Alltags.

Karenz als Kündigungszuckerl

Ähnlich erging es Monika. Die studierte Kunsthistorikerin war nach ihrem Studium in einer PR-Agentur untergekommen, hat sich aber in ihrem Job nicht wohlgefühlt. Nur die gute Bezahlung hielt sie zunächst von einem Wechsel ab. Die Bildungskarenz eröffnete Monika jedoch einen Ausweg. Sie entschied sich für ein Doktoratsstudium zum Thema „Quantitative Sozialforschung“. Beenden konnte sie das Studium in zwölf Monaten Bildungskarenz nicht, das hatte sie aber auch nicht vor. Stattdessen heuerte sie bei einem Verlag als Lektorin an – quantitative Sozialforschung fällt dabei nicht in ihr Aufgabengebiet.

Laurenz und Monika sind keine Einzelfälle. Knapp die Hälfte aller Bildungskarenz-Bezieher kehrt nach Ende der Auszeit nicht mehr in ihren Job zurück. Aber nicht nur Arbeitnehmer machen sich die Bildungskarenz zunutze. „Wir sehen immer wieder, dass das Instrument der Bildungskarenz oft auch von Arbeitgebern als eine Art Zuckerl bei der Kündigung angeboten wird“, sagt die Arbeitsrechtlerin Jana Eichmayr. Kündigungsklagen würden dadurch oft verhindert. Das Unternehmen büße weder Reputation noch Ressourcen ein. Zudem ist die Bildungskarenz eine Möglichkeit für Arbeitgeber, in Krisenphasen Zeit zu gewinnen. Anstatt Mitarbeiter zu kündigen, wird die heikle Phase mit der vom Steuerzahler bezahlten Bildungskarenz überbrückt. Während der Wirtschaftskrise 2010 waren rund 6500 Österreicher in Bildungskarenz. Zehn Jahre später, zu Beginn der Corona-Pandemie, rund 12.600.

Doch wann und wozu wurde dieses Instrument überhaupt entwickelt? Eine Rückblende ins Jahr 1997: Selbst langgediente Sozialpartner waren damals überrascht, als die rote Sozialministerin Eleonora Hostasch die Bildungskarenz in ihre Forderungen zur Pensionsreform gepackt hatte. Der Erfolg des Modells in Dänemark hatte Österreichs sozialdemokratische Regierung hellhörig gemacht. „Ein Modell, das lebenslanges Lernen ermöglicht“, versprach Bundeskanzler Franz Vranitzky bereits ein Jahr zuvor – und wollte damit Vollbeschäftigung sicherstellen. Jobs sichern, Perspektiven erweitern und Facharbeiter nachhaltig an Unternehmen binden.

Erst in der Krise kam der Turbo

Die ÖVP, damals Juniorpartner in der SPÖ-geführten Regierung, war skeptisch. Einen Rechtsanspruch auf Bildungskarenz im Reformpaket zu verankern, war aufgrund massiver Widerstände der Volkspartei gescheitert. Am Ende zäher Verhandlungen fand sich die Bildungskarenz im beschlossenen Reformpaket 1998 wieder. Das einstige Vorbild Dänemark hielt jedoch nicht als Blaupause für das österreichische Modell her.

Während in Dänemark 36 sozialversicherungspflichtige Monate innerhalb der letzten fünf Jahre ausreichten, um in die bezahlte Lernpause zu gehen, musste man hierzulande fünf Jahre durchgängig beim selben Betrieb beschäftigt sein. Damit fiel die Hälfte aller Beschäftigten um den Anspruch auf Bildungskarenz um. Mit Dänemark, wo im ersten Jahr der Einführung 47.000 Personen die Bildungskarenz nutzten, konnte Österreich somit nicht mithalten. Hier beanspruchten 936 Beschäftigte im Jahr 2002 – mit Beginn der Datenerfassung – die bezahlte Auszeit. Später beschlossene Adaptierungen steigerten jedoch die Beliebtheit. Unter Bundeskanzler Alfred Gusenbauer wurde das Weiterbildungsentgelt auf die Höhe des Arbeitslosengeldes angehoben. Die Anwartschaft wurde zudem für jene Personen zugänglich gemacht, die erst ein Jahr in einem Betrieb tätig waren. Es kam zu einem ersten kleinen Aufschwung. Von 2006 bis 2009 stieg die Zahl der Personen in Bildungskarenz von rund tausend auf knapp 5000. Mittlerweile müssen Personen, die Bildungskarenz beanspruchen wollen, mindestens sechs Monate bei einem Arbeitgeber arbeitslosenversicherungspflichtig gewesen sein. Im Falle eines Studiums reichen acht ECTS (vier Wochenstunden) pro Semester aus, um das Weiterbildungsentgelt zu erhalten. Bei einer Schulung müssen 20 Stunden in der Woche nachgewiesen werden.

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