"Das Ziel ist nicht Überleben um jeden Preis"

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die furche: Wann sprechen Ärzte von einem Frühgeborenen?

Manfred Weninger: Bei einer Geburt vor der vollendeten 37. Woche sprechen wir von einem Frühgeborenen. Allerdings brauchen meist nur Kinder mit einem Geburtsgewicht unter 1.500 Gramm eine Betreuung an einer entsprechend spezialisierten Station.

die furche: Immer kleinere Babys können heute überleben. Wo liegt die Grenze?

Weninger: Es wird vereinzelt vom Überleben sehr kleiner Frühgeborener berichtet, zuletzt von einem Baby mit 320 Gramm Geburtsgewicht - das sind allerdings Ausnahmen. Die Grenze hat sich in den letzten Jahren von 500 auf 400 Gramm verschoben - unser kleinstes Baby hier im AKH wurde 1999 mit einem Geburtsgewicht von 422 Gramm geboren. Es gilt allerdings zu bedenken, dass unser Ziel nicht Überleben um jeden Preis sein kann, sondern das Erreichen einer möglichst hohen Lebensqualität für das Kind und damit auch dessen Eltern.

die furche: Wie hoch sind die Überlebenschancen bei solch kleinen Kindern?

Weninger: Bis zur 22. Schwangerschaftswoche haben Kinder mit einem Geburtsgewicht von 300 bis 350 Gramm nur sehr wenige Überlebenschancen. Ab der 24. Schwangerschaftswoche mit einem Geburtsgewicht von rund 450 bis 500 Gramm wird ein aktives Vorgehen, wenn nötig auch unter Einbeziehung intensivmedizinischer Maßnahmen durchgeführt. Während in der 24. Schwangerschaftswoche 50 Prozent der Kinder überleben, ist jeder einzelne, zusätzliche Tag der Schwangerschaft für die Entwicklung der Kinder ein Gewinn, so daß in der 26. und 27. Schwangerschaftswoche bereits 90 bis 95 Prozent der Kinder überleben.

die furche: Was erwarten Sie für die Zukunft: wird die Gewichtsgrenze noch weiter nach unten verschoben?

Weninger: Es sollte nicht das Ziel sein, die Gewichtsgrenze noch weiter nach unten zu verlegen. Nach derzeitigem Wissensstand sind 400 Gramm eine akzeptable Grenze. Das zentrale Problem bei sehr kleinen Frühgeborenen besteht in der extremen Unreife aller Organe. Wir denken daher sicherlich nicht daran, die Grenze willkürlich weiter nach unten zu verlegen. Im Vordergrund aller Bemühungen steht die Lebensqualität der kleinen Patienten. Darüber gibt es einen internationalen Konsens.

die furche: Was sind die größten Risiken für ein Frühgeborenes?

Weninger: Infektionen und die häufig damit verbundenen Komplikationen gehören zu den größten Risiken. Je kleiner ein Kind ist, desto unreifer ist auch das Immunsystem und desto schutzloser ist es verschiedenen Keimen ausgesetzt. Eine bereits bei der Geburt vorhandene Infektion kann zu einer Reihe von Komplikationen wie Kreislaufinstabilität und Durchblutungsveränderungen in verschiedenen Organen führen. Im Gehirn, das gegenüber solchen Durchblutungsstörungen besonders empfindlich ist, kann es zum Auftreten von Hirnblutungen kommen. Je schwerer die Hirnblutung und je mehr zusätzliche Komplikationen vorliegen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Entwicklungsbeeinträchtigungen.

die furche: Was sind die häufigsten Ursachen für eine Frühgeburt?

Weninger: Die Ursachen für eine Frühgeburt können vielfältig sein. Ein sehr hoher Prozentsatz wird durch aufsteigende Infektionen im mütterlichen Geburtstrakt ausgelöst. Eine solche Infektion kann, weil symptomlos, von der Mutter unbemerkt verlaufen. Verschiedene Keime können dann zum vorzeitigen Blasensprung, zum Verlust von Fruchtwasser und zum Auftreten von medikamentös kaum mehr zu hemmender Wehentätigkeit führen. In vielen Fällen wird bei solchen Infektionen auch die Geburt eingeleitet, um zu vermeiden, dass die aufsteigende Infektion das Baby erfasst und zu damit verbundenen Komplikationen führt.

die furche: Wann ist ein Baby über dem Berg?

Weninger: Für Frühgeborene mit einem Geburtsgewicht unter 1.000 Gramm gilt die erste Lebenswoche als die "kritische Phase". Die in dieser Zeit auftretenden Probleme können zu schweren Komplikationen bis hin zu schweren Behinderungen in der Entwicklung führen.

Das Gespräch führte Monika Kunit.

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