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Peter Stiegnitz, Soziologe und Begründer der Mentiologie, über das, was alle tun

Die Furche: Was bedeutet Mentiologie?

Peter Stiegnitz: Die Lehre von der Lüge. Es gibt in der Mentiologie zwei grundlegende Lehr-sätze. Der eine ist die Definition, der andere die moralische Grenze. Zuerst die Definition: Die Lüge ist nichts anderes als die bewusste Abwendung von der Wirklichkeit. Der zweite ist die moralische Grenze, die dort verläuft, wo ich mit meiner Lüge mir oder anderen bewusst Schaden zufüge.

Die Furche: Wie steht es mit Lügen, derer man sich nicht bewusst ist, wenn man sie erzählt?

Stiegnitz: Dann spricht man von Irrtum. Man muss sich bewusst von der Wirklichkeit entfernen, wobei ich nicht gern darüber philosophiere, wie wirklich die Wirklichkeit ist. Ich bin kein Konstruktivist. Ein banales Beispiel: Sie machen für die Furche ein Interview mit mir, und aus welchen Gründen auch immer, ich werde morgen gefragt, ob ich je der Furche ein Interview gegeben habe und verneine. Damit entferne ich mich bewusst von der Wirklichkeit.

Die Furche: Die Propagandamaschinerie läuft auf Hochtouren. Wie beurteilen Sie die Rolle der Massenmedien?

Stiegnitz: Das fällt in den Bereich der Kollektivlügen, die sich genauso auf unsere heutige demokratische Gesellschaft, wie auf die Diktatur beziehen. Die Medien, Werbung, selbst Meinungsbefragungen sind Teil der Kollektivlüge. Falschmeldungen jeglicher Art sollten vermieden werden, ob von Printmedien oder elektronischen Medien.

Die Furche: Wie sehen Sie die Bedeutung des achten Gebotes in der katholischen Ethik?

Stiegnitz: Das achte Gebot lautet: "Du sollst nicht falsch gegen jemanden aussagen." Aber darf ich denn falsch für jemanden aussagen? Demnach dürfte ich für einen anderen falsch Zeugnis ablegen, um ihm zu helfen. Die moralische Grenze baut auf das achte Gebot auf. Die katholische Ethik geht mit der Lüge anders um, als die protestantische. Letztere ist sehr diesseitsorientiert und geht gnadenlos mit der Lüge um. Für sie ist sie nach dem Landesverrat die zweitschlimmste Sünde.

Die katholische Ethik ist etwas barock. Für mich sympathischer, weil sie menschennäher ist, denn der Mensch steckt voller Schwächen, er ist ja keine Maschine. Dieser etwas lockere Umgang gefällt mir etwas besser.

Die Furche: Welches Ziel hat die mentiologische Forschung?

Stiegnitz: Der Zweck ist die Lüge zu erforschen. Das Ziel ist ein edukatives. Die Leute sollen weiterhin lügen, aber sie sollen wissen, dass sie lügen. Dahinter steckt natürlich der Gedanke, dass, wenn man's weiß, man weniger lügt.

Das Gespräch führte Thomas Greistorfer

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