Die Rebellen sterben aus

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Jugendkulturen und ihre Rahmenbedingungen im Wandel der Zeit: von den Halbstarken zur Generation X.

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Jugendkulturen und ihre Rahmenbedingungen im Wandel der Zeit: von den Halbstarken zur Generation X.

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Der eine hat blaue Haare, die andere ihre Haut an allen nur erdenklichen Stellen mit erlesenen Schmuckstücken durchbohrt, der dritte gab offensichtlich viel Geld für Tätowierungen aus, und alle miteinander sind sie unterwegs zu einem Clubbing, um Musik zu hören, die die Ohren ihrer Eltern wahrscheinlich eher betäuben als erfreuen würde, die ganze Nacht zu tanzen und eventuell mit Hilfe verschiedener chemischer Vorgänge die eine oder andere Veränderung an ihrem Bewußtsein vorzunehmen.

Ist das die "heutige Jugend"? Und ist das schon alles? Den Prototyp des Jugendlichen gibt es nicht. So vielfältig und inhomogen unsere Gesellschaft sich darstellt, so "multi" ist auch die Kultur ihrer Jugend. Alte und neue Moden und Strömungen existieren einträchtig nebeneinander, etliche Jugendliche fühlen sich zu spät geboren und träumen auch in den Neunzigern noch von Woodstock, andere wollen stets hip und up to date sein, und die meisten nehmen sich von überall das, was ihnen am besten gefällt.

Globalisierung wird weniger diskutiert als gelebt, Internet macht's möglich, um wenig Geld stundenlang mit Leuten in aller Welt zu "chatten", im allgemeinen gibt man sich friedliebend, autoritätsscheu und genußsüchtig, aufgeschlossen fremden Kulturen gegenüber, einige stürzen sich hingegen mit "Ausländer raus" und ähnlich einfallsreichen Parolen ins vermeintlich politische Geschehen und verprügeln "suspekte Elemente". Jugend bildet ebensowenig eine Einheit wie unsere Gesellschaft.

Jugendkultur entwickelte sich erst in den letzten 200 bis 300 Jahren. Bis zum 18. Jahrhundert waren Kinder kleine Erwachsene mit wenig Rechten und vielen Pflichten. Dann erwachte das Interesse an der Erziehung. Zunächst blieben die Knaben und Mädchen unter ständiger pädagogischer Aufsicht. Das Aufwachsen im familiären Binnenraum brachte aber bald Probleme mit sich. Die Jugendlichen hatten nicht gelernt, sich in der Welt zu behaupten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts öffnete sich die Familie auch nach außen und ermöglichte den Jugendlichen, durch Konfrontation mit anderen Menschen und Lebensformen Erfahrungen zu sammeln und Selbstvertrauen zu gewinnen. Junge Menschen konnten einander treffen, sich zu Gruppen zusammenschließen und so allmählich auch eigene Kulturformen entwickeln, die alsbald mit Protest und Provokation in Verbindung gebracht wurden: eine Gegenkultur zu der der Erwachsenen.

In den 50er Jahren sorgten in Leder gekleidete "Halbstarke" mit ihren Motorrädern und lauter Rock'n'Roll-Musik für Aufsehen, in den revolutionären späten 60ern traten Hippies auf den Plan und wollten Welt und Gesellschaft verbessern, was sich in Liebes- und Friedensbewegungen der 70er fortsetzte, eine Antwort darauf kam in Form der Punk-Bewegung, der allzuviel Lieblichkeit ein Greuel war.

Lebenslust und Frust Arbeitslosigkeit und Umweltzerstörung prägten dann das Lebensgefühl der 80er, Frustration und Ausweglosigkeit wurden artikuliert, man beschäftigte sich intensiv mit der Drogenproblematik, Christiane F.s "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" wurde zum Kultbuch. Und in den 90ern sind alle diese Stimmungen noch ein bißchen präsent, aber oft zur puren Fassade verkommen. Symbole, die einst für ganze Ideologien standen, sind nur noch modische Accessoires.

Die Jugendlichen treten insgesamt erwachsener auf, die Erwachsenen wollen ewig jung bleiben, und alle miteinander sind sie Konsumenten, denen man die Ware Jugend zu verkaufen sucht.

"forever young" So sehr die Gesellschaft aber nach "forever young" verlangt, so wenig sind die wirklichen Jugendlichen interessant, mit ihrer Akne und den Problemen, sich in der Welt zurechtzufinden. Und die Teenager reagieren großteils mit Anpassung. Rebellen sterben aus. Provokant sind meist nur Äußerlichkeiten, ausgefallene Kleidung, Piercing oder Tattoos. Gefordert ist nur ein Mindestmaß an Toleranz, und auch das oft nur optisch.

Wenn Jugendliche heute protestieren, dann vor allem gegen Sparpakete: erst kommt das Fressen und dann die Moral, wie Bert Brecht so schön sagte. Man hat sich an einen gewissen Lebensstandard gewöhnt, ist davon schon verwöhnt. Aber viele werden ihn nicht halten können, und das tut weh. Der Arbeitsmarkt wird härter, jeder muß besser sein als der andere, die Jugend kann es sich nicht mehr leisten, gemeinsam gegen das Establishment zu protestieren oder ein halbes Jahr nach Indien zu reisen, um sich selbst zu finden, jeder kämpft für sich allein um einen Arbeitsplatz. Die anderen sind nicht Mitstreiter, sondern Konkurrenten. Manche haben es schon aufgegeben, irgend jemand wird ohnehin auf der Strecke bleiben, wozu die Mühe, lieber genießen, was man hat, solange es noch geht.

Oder sich in alternativen Welten herumtreiben, virtuelle Abenteuer erleben, interaktive Rätsel lösen, im Internet von Information zu Information surfen und sich in der Flut an Möglichkeiten verlieren, Homepages entwerfen, sich mittels Graffiti auf Beton verewigen, Zukunftspläne schmieden, sich für diverse Projekte engagieren - jeder reagiert anders auf die Herausforderungen der Zeit. Und das Charakteristische an der Generation X und ihrer Kultur ist, daß sie sich nicht charakterisieren läßt.

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