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Zu den unerforschten Phänomenen der Menschheit zählt die "Erste-Reihe-Phobie". Man betrete einen überfüllten Saal mit freier Platzwahl und wird fast immer noch leere Sessel entdecken: ganz vorne. Mag sein, dass die Scheu, dort Platz zu nehmen, mit kollektiven schlechten Erfahrungen zu tun hat. In der Schule müssen die Schlimmen dort sitzen. Im Krieg war die vorderste Front die gefährlichste. Und im Grunde ist es nicht einmal ratsam, im Theater in der ersten Reihe Platz zu nehmen. Das Risiko, auf die Bühne gezerrt zu werden und den Dodl geben zu müssen, ist recht groß. Dieses Geschäft wird lieber den so genannten Prominenten überlassen.

Das sind dann die Momente, in denen Mitleid mit Politikern aufkommt. Wieviele Stunden sie bei todlangweiligen Ehrungen, Begräbnissen und Kongressen in der ersten Reihe ausharren müssen! Selten ist ja ein Eklat wie die Nestroy-Gala dabei, über den man auch am nächsten Tag noch spricht. Lernt man ansonsten, mit offenen Augen zu schlafen? Wobei gleichzeitig Gefahr droht, von der anwesenden Winzerkönigin zum Walzer aufgefordert zu werden. Doch trotz aller Mühsal scheint sich daraus für manche eine lebenslange Sucht zu entwickeln. Wie sonst ist es zu erklären, dass Alt-Politiker so gerne vorne sitzen? Nun gut, sie müssen nicht befürchten, als Affen vorgeführt zu werden und werden bei der Begrüßung extra erwähnt. Der Durchschnittsösterreicher hingegen platziert sich gerne unauffällig mittig in Randlage (Fluchtweg!).

So gesehen ist es kein Wunder, dass die heimischen Parteien mit Nachwuchsproblemen kämpfen und ihre Zukunftshoffnungen gern aus dem Fernsehen holen. Die sind den Österreichern vertrauter als alle anderen. Von daheim. Erste Reihe fußfrei! Umgekehrt wird sich jemand wie Josef Broukal erst mühsam ans lange Stillsitzen gewöhnen müssen. Schließlich sind Journalisten meist die ersten, die schnell flüchten, bevor es langweilig wird. Und das dürfen sie sogar, wenn sie ganz vorne sitzen.

Die Autorin ist innenpolitische Redakteurin des "Standard".

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