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Mit der Moral ist es so: Meistens erwischt sie uns auf dem falschen Fuß. Zum Beispiel wenn wir uns total freuen, dass der Maier Hermann nach seiner Verletzungspause wieder ein Rennen gewinnt. Der Umstand, dass die Meldung "Sensationssieg Hermann Maiers im Super-G" für einen halben Tag alle Online-Dienste, den Teletext, die Radionachrichten und die ZIB dominiert, löst moralisches Unbehagen aus: Zeugt das nicht von einer unglaublichen Provinzialität der Medienmacher? Bewegen wir uns alle nur noch auf regionalem Niveau? Sind wir noch ganz dicht, wenn wir angesichts der akuten Kriegsgefahr und der damit verbundenen Folgegefahren von Wirtschaftskrisen, Flüchtlingsströmen und Terrorwellen das Ergebnis eines Schirennens im Tirolerischen für die wichtigste Sache der Welt halten?

Doch, doch, wir sind ganz normal. Nicht ganz dicht wären wir, wenn wir alles, was wir tun und hören, was uns freut und wovon wir uns vereinnahmen lassen, darauf überprüfen wollten, ob es wohl auch in unsere Prioritätenlisten des Schönen, Wahren und Guten korrekt eingeordnet ist. Nicht ganz dicht wären wir auch, wenn wir glaubten, dass uns die Medien in Moralangelegenheiten voraus sein müssen.

So ehrenvoll und vielleicht auch rührend unsere gelegentlichen Moralanfälle auch sind (peinlich werden sie ja gottlob in der Regel nur dann, wenn sie sich zum Kollektivphänomen entwickeln): Wir sollten sie nicht so ernst nehmen. Tun wir es, verrücken wir erst recht die Proportionen.

Die wirkliche Gefahr für die öffentliche Moral ist nämlich nicht die immerwährende moralische Unzulänglichkeit des Gesellschaftskörpers, sondern das immerwährende öffentliche Lamento angesichts dieses Zustandes. Mit anderen Worten: Die größten Feinde der Moral sind immer noch die Moralisten.

Der Autor ist stellvertretender Chefredakteur der "Presse".

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