Löwe gegen Schmetterling

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Manfred Sliwka im Gespräch über den einzig absoluten Wertmaßstab: die Evolution.

Herr Sliwka, auf der Veranstaltung "Weltreligionen und Kapitalismus" des Club of Vienna war oft die Rede von der Suche nach Werten. Was sind überhaupt diese Werte, um die es dabei geht?

Manfred Sliwka: Werte sind ordnende Ideen, die Orientierung geben. Wir haben heute ja ein ungeheures Gestaltungswissen, was man machen kann. Wir brauchen aber eine zweite Ebene, was man machen soll. Etwas, das unser Leben ordnet. Das sind Werte.

Und die haben wir nicht?

Sliwka: Wir haben eine Diffusität der Werte, ein verworrenes Wertesystem. Der Philosoph Jürgen Habermas spricht von der neuen Unübersichtlichkeit. Es gibt heute so viele Wertegeber, aber keinen zentralen mehr. Im Mittelalter war das klar geregelt, da war ganz oben Gott und dann der Papst, heute vermischen sich viele Wertegeber, das ist unser Problem.

Wenn es die Religion heute nicht mehr tut - wer vermittelt im 21. Jahrhundert Werte?

Sliwka: Es sind schon immer noch die Religionen starke Wertegeber. Aber es sind eben auch die Medien, die Werbung, die Marken, Lehrer, Schulen. Es sind so viele Wertegeber, und für die Menschen ist es schwierig, da eine Orientierung zu finden. Denn das Problem ist, dass oft die Interessen der Herrschenden zu Werten der Beherrschten erklärt werden. Dann sind Werte ein Herrschaftsinstrument. Das zeigt die Geschichte. Werte sind gnadenlos missbraucht worden, im Namen nationaler Werte sind junge Leute bei Verdun und Stalingrad gefallen. Ehre und Vaterland waren ja Wertesysteme, an die diese Menschen geglaubt haben. Es geht also um die Suche nach einem Wertemaßstab, der unabhängig von Interessen und Ideologien ist.

Sie haben sich als Unternehmensberater darauf spezialisiert, Firmen bei der Etablierung von Wertesystemen zu begleiten. Haben Sie einen solchen Wertemaßstab schon gefunden?

Sliwka: Ich bin mir durch die Beschäftigung mit Werten im Zuge meiner Arbeit klar geworden, dass sich das Leben in Milliarden von Jahren in einer unglaublichen Vielfalt und Fülle entwickelt hat. Das müsste eigentlich der universellste Wertegeber sein.

Welche Werte leiten Sie aus der Evolution ab? Diese Frage ist ja höchst umstritten.

Sliwka: Ja, die Biologen sagen, die Evolution habe kein Ziel. Aber man muss nicht Biologie studiert haben, um die Ergebnisse der Evolution zu erkennen, dafür muss man nur wach durch die Natur gehen: das Gedeihen des Lebens in Vielfalt und Fülle. Zum Wert umformuliert heißt das: Alles ist gut, was das Gedeihen des Lebens in Vielfalt und Fülle fördert, und alles ist schlecht, was das Gedeihen des Lebens in Vielfalt und Fülle stört oder zerstört. Das versuche ich auch als Berater von Führungskräften zur obersten Maxime zu machen. Denn im Begriff der Vielfalt liegt ja auch die Toleranz für das Kleine, das Schwache. Ohne diese Toleranz wäre niemals Vielfalt entstanden.

Welche Rolle spielt da der Ausdruck "survival of the fittest", der Charles Darwin zugeschrieben wird?

Sliwka: Das ist das schlimme, dass dieser Satz, der ja gar nicht von Darwin stammt, sondern von seinem Bewunderer Herbert Spencer, falsch übersetzt wird, nämlich als "Überleben des Stärksten". Das Englische "to fit" heißt aber auf Deutsch nicht "stark sein", sondern "passen, anpassen". Der amerikanische Biologe Stephan Lackner hat dazu gesagt, die Welt werde ja nicht beherrscht von einem starken, giftigen, stacheligen Stinktier. Genau ein solches Tier müsste aber die Welt beherrschen, wenn es tatsächlich stimmen würde, dass der Stärkste überlebt. Aber es gibt eine Fülle von Überlebensstrategien, in denen nicht der Stärkste, sondern der Kreativste überlebt. Man kann zum Beispiel wetten, dass der vermeintlich starke Löwe eher ausgestorben sein wird als die bis zu 250.000 Schmetterlingsarten, die es auf der Welt gibt. Oder dass es den vermeintlich starke Mammutbaum früher nicht mehr geben wird als die 30.000 Orchideenarten. Außerdem wäre dieses starke, giftige, stachelige Stinktier, das die Welt beherrschen müsste, wenn tatsächlich der Stärkste überleben würde, längst ausgestorben, weil es seine eigenen Ressourcen zerstört.

Im Moment sieht es aber so aus, als wäre der Mensch dieses Stinktier ...

Sliwka: Ja, er zerstört mit seiner vermeintlichen Stärke seine eigenen Ressourcen, weil er eben nicht nach dem Prinzip der Vielfalt und Fülle lebt. Und es ist ja noch nicht ausgemacht, ob der angeblich so starke Mensch nicht eher aussterben wird als die schwachen Amöben und Bakterien. Zumindest, wenn der Mensch so weitermacht wie bisher.

Wie lässt sich nun diese Werte-Ableitung aus der Evolution in ein Unternehmen integrieren?

Sliwka: Das geht relativ konkret: Innerbetrieblich ist jeder Chef klug, der die Entfaltung der Vielfalt und Fülle an Begabungen in einem Unternehmen zulässt. Auf dem Markt ist er klug, wenn er Nischen besetzt mit Produkten, die der Vielfalt und Fülle dienen. Eine Konstruktion namens McDonalds zum Beispiel ist im Vergleich zu den vielen kleinen, österreichischen Beiseln keine Vielfalt ...

... aber sehr erfolgreich.

Sliwka: Ja, aber doch nur deshalb, weil die Spielregeln so sind, dass die Großunternehmen administrativ und steuerlich ungeheuer bevorzugt werden. Wir bräuchten Wirtschaftsspielregeln, die die Vielfalt fördern und nicht demjenigen noch Privilegien in die Hand geben, der vereinheitlicht und dadurch verarmt, weil er Vielfalt zerstört.

Manfred Sliwka studierte bwl, Psychologie und Philosophie.

Er ist Unternehmensberater in Deutschland und Präsidiumsmitglied des Club of Vienna.

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