Marginalisierte Weiblichkeit

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Ein neues Lexikon dokumentiert den (oft vergessenen) Anteil von Frauen an der österreichischen Wissenschaftsgeschichte.

Gerade zu einem Zeitpunkt, wo die Frage nach dem Wandel des kulturellen Gedächtnisses viel diskutiert wird, erscheint ein Lexikon der "Wissenschafterinnen in und aus Österreich". Ziel des umfassenden Nachschlagewerks - herausgegeben von Brigitte Keintzel und Ilse Korotin - ist das Versammeln, Bewahren und Sichtbarmachen von "weiblicher" Wissensproduktion.

Die bisherige Marginalisierung des Anteils von Frauen in der österreichischen Wissenschaftsgeschichte hängt damit zusammen, dass Akademikerinnen trotz gleichwertiger Produktion oft nur teilweise oder gar nicht rezipiert wurden und die Quellenlage (daraus resultierend) ungünstig ist. Im Fall der Chemikerin Anna Simona Spiegel-Adolf heißt das etwa, dass ihr Nachlass schlichtweg in den Bestand ihres Mannes integriert und nicht eigenständig aufgenommen wurde. Ebenfalls typisch für weibliche (Nicht-)Karrieren im Wissenschaftsbetrieb steht der Werdegang von Gertrud Herzog-Hauser, die nach Abschluss ihres Studiums der Klassischen Philologie als Mitarbeiterin von der Universität abgelehnt wurde und im Schuldienst tätig war, bis sie 1937 am Mädchen-Gymnasium in der Rahlgasse zur Direktorin avancierte. Nach ihrer Rückkehr aus dem Schweizer Exil 1946 war sie ein zweites Mal mit der Ausgrenzung aus dem universitären Betrieb konfrontiert.

Auch andere Wissenschafterinnen-Biografien - so unterschiedlich sie sich präsentieren - sind gekennzeichnet durch Ablehnung und besondere Übervorteilung: Der Romanistin Helene Richter, die sich 1905 als erste Frau an der Universität Wien habilitierte, wurde zwei Jahre die Bestätigung auf ihre Dozentur verweigert. Erst 1921 erhielt sie den Titel der außerordentlichen Professorin. Nach dem so genannten Anschluss Österreichs an NS-Deutschland folgte 1938 die Kündigung, 1942 wurde sie gemeinsam mit ihrer Schwester Helene nach Theresienstadt deportiert, wo sie 1943 starb. Helene Richter war als Privatgelehrte tätig und gilt heute als eine der ersten österreichischen Theaterhistorikerinnen, deren Arbeiten über das Burgtheater jedoch von der Öffentlichkeit und vom Fachpublikum bis heute kaum rezipiert werden.

Diese Form der Nicht-Wahrnehmung von Frauen im Wissenschaftsbetrieb spiegelt sich auch in bisherigen Gelehrten-Lexika wider, deren Herausgeber nicht nur die Eintragung von Professorinnen vernachlässigten, sondern auch akademischen Grenzgängerinnen wie etwa Privatdozentinnen keinen Platz gaben. Dieses Defizit gleicht das jüngst erschienene Lexikon aus, das Leben, Werk und Wirken von 342 Wissenschafterinnen im zeitlichen Rahmen von der Jahrhundertwende bis in die späte Nachkriegszeit dokumentiert. Die Beiträge beinhalten neben Lebensdaten und Berufsbezeichnung sorgfältig gearbeitete Biografien samt Werkbibliografie und Literatur- bzw. Quellenangaben. Dadurch gelingt es, in der Frage nach der Gleichbehandlung von Frauen in der Wissenschaftsgeschichtsschreibung bisherige Sichtweisen grundlegend zu revidieren und die Mechanismen der Marginalisierung offen zu legen.

WISSENSCHAFTERINNEN IN UND AUS ÖSTERREICH. Leben - Werk - Wirken

Von Brigitta Keintzel und Ilse Korotin (Hg.), Böhlau Verlag, Wien 2002, 1024 Seiten, 128 Schwarz-weiß-Abbildungen, geb.

Bis 31. Dezember 2002 zum Preis von

e 59,- erhältlich, danach um e 89,-

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