Zwangsjacken-Gesellschaft

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Eine leistungsorientierte Europäerin in einer japanischen Firma, das konnte nicht gut gehen.

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Eine leistungsorientierte Europäerin in einer japanischen Firma, das konnte nicht gut gehen.

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Herr Haneda war Herrn Omochis Vorgesetzter, der Herrn Saitos Vorgesetzter war, der Fräulein Moris Vorgesetzter war, die meine Vorgesetzte war. Was mich anging, so war ich niemandes Vorgesetzte ... ich stand unter jedermanns Befehl." Letztere, unter jedermanns Befehl Stehende, ist Amelie Nothomb und mit obigem Zitat beginnt ihr Roman "Mit Staunen und Zittern", in dem sie ihre einjährige Arbeitserfahrung in einer japanischen Firma beschreibt. Das Staunen bei der Lektüre wächst von Seite zu Seite.

Die in Kobe geborene, in Brüssel lebende belgische Autorin hat ihre Kindheit und Jugend in Japan und China verbracht. Sie spricht Japanisch, kennt die Mentalität der Japaner, schätzt deren Kultur und gerät beim Anblick eines Gesichts von ihrer Ansicht nach vollkommener japanischer Schönheit in unglaubliche Schwärmerei. Diese Zuwendung zur japanischen Kultur erklärt vielleicht, dass sie durchhalten und ihren Vertrag erfüllen will, "um sich nicht mit Schande zu bedecken" und dass sie dieses Jahr unglaublicher Erniedrigungen bis zum bitteren Ende erträgt. Mit Humor und Sarkasmus schildert sie nun ihre Qualen und äußert ihre Ansichten über Japanerinnen und Japaner.

Der Dienstantritt steht unter keinem guten Stern. Sie fällt unliebsam auf. Ein, wie es scheint, nicht wieder gut zu machender Fehler. Der Auftakt ihres Arbeitsverhältnisses besteht im sinnlosen Verfassen von Briefen, die ungelesen im Papierkorb landen, wobei sie sogar noch ein gewisses Vergnügen empfinden kann. Von Anfang an ist ihr unklar, wofür sie aufgenommen wurde und welche Aufgabe sie in dieser Firma wohl erfüllen soll. Ihre Fähigkeiten werden ihr jedenfalls immer wieder nur zum Verhängnis.

Vom Aktenlesen und Kaffeeholen nicht ausgelastet, sucht sie sich immer neue kleine Aufgaben und tappt doch nur immer in irgendwelche Fettnäpfe. Zur Strafe wird sie zum Kopieren von Golfsatzungen abkommandiert, wobei auch wieder ein Paket "unvollkommener" Kopien nach dem anderen im Papierkorb landet. Dann scheint sich plötzlich eine Chance zu ergeben. Der Leiter einer anderen Abteilung fragt sie, ob sie eine Studie machen und einen Bericht schreiben will. Aber wieder geht die Sache nach hinten los und führt zur totalen Degradierung.

Als westlicher Leser kann man da nur staunen. Denn denkt man halbwegs wirtschaftlich, erscheint der Einsatz einer qualifizierten Arbeitskraft für unqualifizierte Arbeit doch als Vergeudung. Offenbar kommt es in Japan darauf nicht an, nicht in erster Linie, nicht im konkreten Fall.

Der Schluss, dass es in Japan zu viele qualifizierte Arbeitskräfte gibt und es unmöglich ist, alle ihren Fähigkeiten entsprechend einzusetzen, liegt nahe, erklärt aber Amelie Nothombs Erfahrungen nicht vollständig. Japaner lernen frühzeitig vor allem Disziplin und Anpassung. Initiative und eigenständiges Denken sind auch für Japaner oft nur ein Hindernis. Hätte man nicht "Die Zwangsjacken Gesellschaft" von Masao Miyamoto (furche 7/97) gelesen, der nach zwölf Berufsjahren in den USA nach der Heimkehr ebenfalls die Wucht des Anpassungszwanges kennenlernte, könnte man manches, was Nothomb berichtet, für übertrieben halten.

Aber eine leistungsorientierte Europäerin unter einer japanischen Vorgesetzten, die sich selbst mühsam hinaufgearbeitet hatte, da war die Katastrophe programmiert. Die Autorin bewunderte trotzdem die Anmut und Schönheit des Fräuleins Mori.

Mit Staunen und Zittern Roman von Amelie Nothomb, Diogenes Verlag, Zürich 2000, 158 Seiten, geb., öS 240,-/e 17,44

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