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"Weltweit ist ein Trend zu alternativen politischen Szenen zu erkennen. Die Gesellschaft fragmentiert sich zunehmend."

"Der Antisemitismus ist ein umfassendes Welterklärungsmodell. Jeder gesellschaftliche Umbruch kann in der antisemitischen Ideologie kontextualisiert werden."

Kevin Culina ist Co-Autor des Buchs "Im Feindbild vereint - Zur Relevanz des Antisemitismus in der Querfront-Zeitschrift Compact". Ein Gespräch über Querfront-Inhalte und -Rahmenbedingungen.

Die Furche: Es gab zuletzt einigen Wirbel um den Begriff 'Querfront'. Erleben wir tatsächlich eine Zunahme solcher Tendenzen?

Kevin culina: Das Phänomen ist spätestens seit 2014 wieder sehr präsent in der Öffentlichkeit. Damals protestierte mit den "Mahnwachen für den Frieden" eine krude Mischung von Verschwörungsideologen, Israel-Hassern und sogenannten Reichsbürgern bis hin zu Leugnern des Klimawandels und religiösen Fundamentalisten. Bereits Jahre zuvor entwickelte sich besonders im Internet eine aktive Szene, die entsprechende Inhalte produziert, diskutiert und öffentlich zugänglich macht. Ähnliche Tendenzen fanden sich jedoch auch bei früheren Phänomenen, wie den vermeintlich bankenkritischen Occupy-Protesten und der Piratenpartei. In beiden gab es Strömungen, die politische Unterschiede zugunsten eines einenden Begriffs des "Volkes" verschwinden lassen wollten. Solche Tendenzen finden auf einer viel größeren Bühne statt als zuvor.

Die Furche: Wie erklären Sie sich diese Zunahme?

culina: Alle Beispiele eint ein diffuses politisches Profil. In allen gab es emanzipatorisches Potenzial und kritische Köpfe, jedoch boten objektiv alle auch kruden Positionen und selbst kleinsten Politgruppen eine Bühne.

Die Furche: Welche gesellschaftlichen und politischen Rahmen-Bedingungen begünstigen Querfront-Tendenzen?

culina: Querfront-Bewegungen haben vor allem in Krisenzeiten Konjunktur. Zentral ist meist eine fast schon apokalyptisch dargestellte Notsituation mit unmittelbarer Handlungsnotwendigkeit. Das gilt derzeit insbesondere für rechte und verschwörungsideologische Milieus. Historisch gesehen war das nie anders: In der Weimarer Republik, der Hochzeit von Querfront-Bestrebungen, wähnten die Vordenker sich stets in einer revolutionären Situation. Unter Rückgriff auf das Völkische sollte sich wahlweise gegen "französische Imperialisten" oder ganz explizit gegen "beschnittene und unbeschnittene Kapitalisten" formiert werden.

Die Furche: Ihr Buch beleuchtet vor allem die Rolle der Zeitschrift "Compact".

culina: Compact ist das einzig nennenswerte Printmedium der verschwörungsideologischen Szene, das es an nahezu jedes Kiosk geschafft hat. Die Zeitschrift schlägt Profit aus dem Rechtsruck in Deutschland und hat mittlerweile ein großes politisches Netzwerk aufgebaut. Inhaltlich eint ihre Autoren und Leser vor allem ihr antisemitischer Glaube an Verschwörungen jeder Art und ihr Hass auf Israel, in den letzten zwei Jahren wurde ihr Rassismus immer aggressiver. Auf ihren Konferenzen sitzen russische Parlamentsabgeordnete, der völkische Flügel der AfD um Björn Höcke, führende Köpfe der Identitären Bewegung und der rassistischen Straßenproteste Pegida. Auch auf den "Mahnwachen für den Frieden" waren ihre Autoren präsent.

Die Furche: Wie erklärt sich die Rolle des Antisemitismus?

culina: Der Antisemitismus ist ein umfassendes Welterklärungsmodell. Jeder gesellschaftliche Umbruch, ökonomische Struktur oder politische Entwicklung kann in der antisemitischen Ideologie kontextualisiert werden. Ob in personifizierender Kapitalismuskritik, Verschwörungsdenken oder Dämonisierung Israels, der Antisemitismus ist keineswegs ein Patent der extremen Rechten. Somit können sich verschiedenste politische Strömungen partiell zusammenschließen, der gemeinsame Feind eint sie. Das führt zu auf den ersten Blick absurden Zusammenschließungen, beispielsweise wenn Neonazis und Linke an der Seite von Islamisten und Hamas-Fans zu Felde ziehen.

Die Furche: Deutschland steht momentan im Fokus dieser Entwicklungen. Gibt es ähnliches Potenzial in anderen Ländern, etwa Österreich?

culina: Definitiv. Global ist ein steigender Trend zu alternativen politischen Szenen zu erkennen. Die Gesellschaft fragmentiert sich zunehmend, auch ökonomisch. Das Internet ist voll von solchen vermeintlich "alternativen" Medien, die vor allem ideologisch und tendenziös sind. Politisch profitieren davon weltweit politische, rechte Akteure, wie die AfD in Deutschland, die FPÖ in Österreich oder die PiS in Polen. Die eingangs erwähnten "Mahnwachen für den Frieden" fanden ebenfalls im gesamten deutschsprachigen Raum statt und fungierten als Bühne für viele krude Kleinstgruppen.

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