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Alle Jahre wieder

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PROTOKOLLE 68 — Wiener Jahresschrift für Literatur, bildende Kunst und Musik. Herausgegeben von Otto Breich und Gerhard Fritsch. Verlag für Jugend und Volk, Wien-München. 222 Seiten. S 80.—.

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PROTOKOLLE 68 — Wiener Jahresschrift für Literatur, bildende Kunst und Musik. Herausgegeben von Otto Breich und Gerhard Fritsch. Verlag für Jugend und Volk, Wien-München. 222 Seiten. S 80.—.

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Die „Protokolle“ sind seit den drei Jahren ihres Bestehens zu einem wichtigen Faktor in unserem Kulturbetrieb geworden, soweit ein jährlich sich Ereignendes überhaupt ein wichtiger Faktor werden kann. Die Wiener Jahresschrift — der ins 20. Jahrhundert herübergerettete gute, alte Almanach — hat für heuer ihre Auflage verdoppelt, und eine offizielle Premiere sollte informieren und um Verständnis werben, das interessanterweise in allen Lagern gleich groß ist, nämlich klein. Dabei sind die „Protokolle“ gar nicht provozierend progressiv, geben sich ohnehin solide und fördern nur eine Avantgarde, der die Anerkennung der Fachwelt nicht versagt wurde — ;ohl aber die Publikationsmöglich keiten in gebührendem Umfang. H, C. Artmann ist dabei mit vier noch unveröffentlichten (!) Gedichten aus dem Jahre 1954 vertreten, Peter Handke mit einem interessanten „lyrischen“ Versuch unter dem Titel „die neuen erfahrungen“,

Alfred Kolleritsch — als Verneigung vor dem initiativenreichen Grazer Forum Staditpark — mit dem Prosatext „Von einem Katzensonntag“ und Emst Jandl mit dem „modeli einer einfachen strophe“. Friederike Mayröcker allerdings läßt mit der Television „Hommage k Doc“ und „Die

Sintflut“ alles Poetische dieses Bandes hinter sich. Mayröckers lyrische Prosa, wenn hier derartige Unterscheidungen etwas zu sagen vermögen, ist sprunghaft, spannungsgeladen, witzig, sie wirft mit Sprache um sich wie ein Tachist und trifft wie ein Scharfschütze. Mag manchem der Charme Mayröckers auch etwas spröde und flatterhaft Vorkommen, Gewöhnung ist dringend erbeten... Michael Scharang und Elfriede Jelinek, deren fünf Gedichte bemerkenswert sind, vertreten die jüngere Generation.

Einen weiteren Komplex der Protokolle, die immer nach einem Schwerpunktprogramm ausgerichtet sind, bilden die Essays zur Literatur (Scharang über Handkes Prosa) und Malerei (Breicha, Hofmann und Schmeller über Hundertwasser, Maria Lassnig, Walter Pichler, Hol- legha und Max Weiler) und damit im Zusammenhang Programmatisches der Künstler. Ein eigener, ziemlich umfangreicher Abschnitt wurde Fritz Hundertwasser gewidmet (plus acht Farbseiten) und seine theoretischen Schriften „Der Trans- automatisrwus, eine allgemeine Mobilmachung des Auges“, „Grammatik des Sehens“ und die Polemik „Los von Loos“ erstmals veröffentlicht. Der Strauß, den Hundertwasser mit der modernen Architektur ausficht, findet hier seine vielleicht überzeugendere Fortsetzung. Die Musik ist mit einem Artikel von

Lesen Sie auch die Buchbesprechungen In der Monatsschrift „DER GROSSE ENTSCHLUSS

Friedrich Cerha vertreten und mit einer tiefgründigen Betrachtung über die „Relationen zwischen Musik und Malerei“ von Theodor W. Adorno. Wesentliche abstraktere Themen finden sich über den Funktiomswandal in der Kunst (Friedrich Hacker) und über die Beziehungen von Kunst, Gesellschaft und Ware (Werner Hofmann). Der Jubilar Egon Schiele findet eine originelle Würdigung durch den ersten, von Albert Paris Gütersloh 1911 geschriebenen Artikel und den aktuellen Gegenpol (Rüdiger Engerth: Schiele heute) aus der Perspektive der Beat- und Pop-Bewegung.

Eine große Entdeckung von Franz Hubmann stellt der erste (?) österreichische Live-Photograph Emil Mayer dar. 1908 schoß er mit doch immerhin noch unzulänglichen Apparaten inuPrater Bilder, die als sensationell gelten können (siehe auch Abbildung).

Die Herausgeber Breicha und Fritsch bieten zwar viel, aber nicht so vied, daß man von einem Querschnitt durch die Wiener Kunst sprechen könnte. Man merkt die Absicht und ist befriedigt, daß hier endlich einmal von dem Greißlerprinzip „Von allem etwas“ abgegangen wurde. Eine derartige Publikation kann nur dann wirksam sein, wenn sie sich beschränkt, auf einzelne Komplexe konzentriert. Selbst auf die geringe Gefahr hin, daß es die Falschen sind...

Die „Protokolle“ sind eine hervorragende Jahresschrift. Es ist doch mit Sicherheit anzunehmen, daß auch für eine Halbjahresschrift das Material reichen würde?!

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