Architektin der Architekturfotografie

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Eine Ausstellung und ein anspruchsvoll gestaltetes Buch feiern Margherita Spiluttini, Österreichs namhafteste Architekturfotografin. Von Norbert Mayr

Denn der Städter weiß nichts von der Fürchterlichkeit eines im Hochgebirge plötzlich hereinbrechenden Unwetters. Von der Gewalt, mit welcher der Sturm Bäume ausreißt, ganzen Gebirgsmassiven ins Gesicht schlägt, dass sie zittern. Nichts von Lawinen. Nichts vom Frost. Nichts von der Finsternis, die plötzlich alles ausschaltet, was Halt bieten könnte. Diese Zeilen aus Thomas Bernhards Roman Frost wählte Margherita Spiluttini zur Einleitung des Kapitels Alpen im neuen, ihrer Arbeit gewidmeten Buch. Bei dem der Fotografin schon lange bekannten Roman griff Bernhard teilweise auch auf sein Manuskript Schwarzach St. Veit von 1957 zurück. Im "schwarzen, finsteren Loch" Schwarzach - so Spiluttini - wuchs die Tochter eines Baumeisters auf. Natur mit Schneefällen, Muren und Überschwemmungen empfand sie als bedrohlich, ihr Vater war stolz auf die Ingenieurleistungen der Nachkriegszeit.

Bauwerk und Landschaft

Vor rund 15 Jahren begann Österreichs namhafteste Architekturfotografin am Weg zu Auftraggebern wie den Schweizer Spitzenarchitekten Herzog & de Meuron, die anonymen Werke von Menschen in der alpinen Natur wie Staudämme, Passstraßen, Tunnels und Steinbrüche in ein neues Licht zu rücken. Spiluttinis Bestandsaufnahmen hinterfragen Konstruktion wie Wahrnehmung von Landschaft. Kulturlandschaft und Bauwerk - beides gestaltete Welt - werden in den unterschiedlichen Verzahnungen und Facetten von der baulichen Eroberung der Landschaft bis zur Rückeroberung durch die Natur vorgestellt.

In der Ausstellung Margherita Spiluttini. Atlas Austria im Architekturzentrum Wien kann man in diese Landschaftspanoramen eintauchen. Die brillanten, detailgenauen Großdiaprojektionen erreichen in der Dunkelheit des Raums besondere Präsenz. Kleinformatigere Projektionen widmen sich einer Auswahl spezieller und eindrücklicher Bildgeschichten - dem Wittgensteinhaus in Wien, der Architektur der 1950er Jahre oder der Wohnung der 2000 verstorbenen Architektin Margarete Schütte-Lihotzky - und Auftragsarbeiten als Architekturfotografin als ihrem dritten Arbeitsschwerpunkt.

Bildgeschichten vom Bauen

Nach ihrer Ausbildung als medizinisch-technische Assistentin in Innsbruck, bei der Spiluttini medizinische Fotografie lernte, beschäftigte sie sich nach der Geburt ihrer Tochter Ina 1972 autodidaktisch mit Fotografie. Den professionellen Eintritt in die Architekturfotografie markierte der Fotoauftrag für den 1984 erschienen Wiener Architekturführer. Diese Schwarz-Weiß-Fotografien wurden in Form eines systematischen Rasters streng komponiert. Vielleicht mit der wachsenden Bedeutung der Farbe in ihren Fotos folgte - so die Fotohistorikerin Monika Faber - die wachsende Vielfalt "suggestiver Raumkreationen".

Architektur & Atmosphäre

In der Fotografie als zweidimensionaler Reduktion von Architektur fehlen Spiluttini die Geräusche, die Gerüche, das Haptische, die dritte Dimension, die Bewegung. Sie will "Spuren und Hinweise auf unser Leben" zeigen und gibt dem Atmosphärischen Raum, lässt sich nicht nur auf die Architektur, sondern auch auf den Kontext ein, das gerade herrschende Wetter, die zufällige Umgebung und verzichtet auf zusätzliches Licht. Menschen lässt sie in ihren Fotos nur vorkommen, wenn sie da sind, nicht aber um sie zu inszenieren.

Spiluttini paart ihre eigenen Empfindungen und Erfahrungen mit der Präzision der Plattenkamera. Ihre Bilder verbinden - so der Fotohistoriker Timm Starl - die "Ansprüche und Leistungen der Architekten" mit der "zarten, gleichwohl entschiedenen Handschrift einer Fotokünstlerin". Dabei arbeitet sie die begrenzten Möglichkeiten, die Qualitäten von Architektur in Fotografien zu zeigen, optimal heraus.

So begann vor rund 15 Jahren ihre internationale Karriere, seither ist sie beispielsweise "Hausfotografin" von Herzog & De Meuron. AZW-Direktor Dietmar Steiner zählt Spiluttini zu den Top Ten der internationalen Architekturfotografie.

"Metapher für das Leben"

Margherita Spiluttini, die neben anderen Ehrungen und Preisen vergangenen November das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst verliehen bekam, feiert im Oktober ihren 60. Geburtstag. Sie fotografiert leidenschaftlich gerne Architektur, weil - wie sie denkt - "Gebautes eine Metapher für das Leben" ist. Spiluttinis eigene Lebensfreude, Vitalität und Neugier beeindrucken trotz großer krankheitsbedingter Beeinträchtigungen in Arbeit und Alltag.

Die Ausstellung über Margherita Spiluttini enthält rund 400 Diaprojektionen. Gleichzeitig veranschaulicht ein von Gabriele Lenz grafisch anspruchsvoll gestalteter Bildband ihr umfangreiches Werk. "Sommertours" des Architekturzentrums verbinden Ausstellungsführung mit der Exkursion zu ausgewählten Bauten (1. und 12. August).

Der Autor ist freier Architekturpublizist in Salzburg.

Margherita Spiluttini

Atlas Austria

Architekturzentrum Wien

Museumsplatz 1 im MQ, 1070 Wien

www.azw.at

Bis 24. 9. täglich 10-19 Uhr

Margherita Spiluttini: Räumlich/Spacious Hg. v. Architekturzentrum Wien. Fotohof Edition, Salzburg, 319 S., ca. 250 Abb. € 56,40

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