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Kulturpflege im Innviertel

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Das Innviertel wird gemeinhin als Heimat grundständiger, tüchtiger Bauernart geschätzt; daß es in hohem Maße Nährboden jener Kräfte im Menschen war und noch ist, die ihm bedeuten, er vermöge nicht vom Brot allein wahrhaft zu leben, daran darf gerade jetzt, da so viel vom kulturellen Wiederaufbau in den großen Städten gesprochen wird, einmal erinnert werden. Wohl ist der ständige Zugang zu den Kulturwerten für den Großstädter in vieler Hinsicht müheloser zu erreichen als tur den Bewohner des Landes. Die Fülle der Werke und Formen bietet sich ihm gewissermaßen vor der Haustür zur Auswahl an und wirbt mit allen Mitteln eines modernen technischen Apparates um seine Aufmerksamkeit und Gunst. Kleine Bezirksstädte etwa wie Ried im Innvicrtel und Schärding vermögen auf dieser Ebene nicht zu konkurrieren; und es ist gut, daß sie- das Unmögliche nicht erst versuchen. Was hier an Kulturpflege geleistet wird, bleibt einzelne Erscheinung, die gleichzeitig von keiner ähnlich gearteten beeinträchtigt zu werden pflegt. Damit entfällt für die Aufnehmenden wohl eine gewisse Breite der Auswahl, zugleich aber die Gefahr einer Zersplitterung. Im ganzen beurteilt, wirkt dieser Zustand auf das unverwöhnte Publikum eher fördernd und erzieherisch, als hemmend, sofern die kulturelle Lenkung nur in verantwortungsbewußten und fähigen Händen liegt. Und das wird im Innviertel beglückend deutlich.

In Ried tritt das Kulturamt der Stadt als die das Kulturleben steuernde und behütende Körperschaft auf, in S c h ä r-*d i n g ist es die österreichische Kulturvereinigung, die sich hier als örtliche Sektion selbständig und aus der Initiative weniger entschlossener Menschen konstituiert hat und in ihrer Tätigkeit bei überraschender thematischer Vielfalt bedeutsame Einheitlichkeit in der kulturellen Ge-

sinnung wie im Niveau der Leistungen zeigt. Um einen Überblick über die r.bwechslungs-reichen Sclu'rdinger Programme zu vermitteln, sei ein Faustabend erwähnt, in dem Gerhard Fauth ausgewählte Szenen aus Goethes Meisterwerk rezitierte und die Konzertpianistin Wilhelmine Burkhart prachtvoll zugeordnete Klavierwerke von J. S. Bach, Beethoven und Schumann spielte. Ein Erlebnis von außerordentlicher Tiefe vermittelte die Wiener Altistin Annie V i 1 m a r, die Gesänge von Orlandini, Pergolese, Claudio Monteverdi, Mendelssohn - Bartholdy und Gustav Mahler darbot und mit dessen fünf „Kindertotenliedern“ einen Grad reiner Durchgeistigung erreichte, der selbst weniger geschulte Hörer erschütterte. Zum Entzücken eines breiteren Publikums lud die Kulturvereinigung Schärding die Wiener Sängerknaben Mitte März zu einer Konzerttournee ins Innviertel ,ein, die den Chor nach Braunau, Ried und Schärding führte. Ende des Monats wird Kammerschauspielerin Maria Mayen vom Burgtheater in Schärding ältere und zeitgenössische Lyrik sprechen. Was ein solcher Abend für die einheimische Bevölkerung bedeutet, möge daran ermessen werden, daß die letzte ähnliche Veranstaltung (die seinerzeit Richard Billinger bestritt) fünfzehn Jahre zurückliegt! — Volkstümliche, aber wissenschaftlich einwandfreie Vorträge über naheliegende Themen, aus der Heimatkunde des Innviertels etwa oder über die Atomphysik und ihre für die Zukunft noch kaum abzuschätzende Bedeutung, lockern die Folge streng künstlerischer Darbietungen auf. In Schärding nähern sich außerdem die technischen und organisatorischen Vorbereitungen für laufende Kunstausstellungen ihrem Abschluß und werden bereits Ende März zu einer ersten Ausstellung führen, : die dem heimischen Meister Alfred Kubin gewidmet sein wird, der am 10. Apri! in Zwickledt bei Wernstein am Inn seinen 6'9. Geburtstag feiert.

Sehr Bedeutendes leistete Ried mit einer Ausstellung europäischer Graphik, die zugleich ein schönes Beispiel kultureller Zusammenarbeit der maßgeblichen Kräfte im' Innviertel darstellt. Die Anregung zu dieser Schau, die selbst in Wien ehrenvoll hätte bestehen können, kam aus Schärding zugleich mit dem meisten des aus Privatbesitz stammenden hochwertigen Materials. Die Innviertier Galerie mit ihrem unermüdlich tätigen Kustos Professor Ba u b ö c k verwirklichte den Plan. Die großen und zweckmäßigen Räume des graphischen Kabinetts der Galeric waren gefüllt mit zum Teil seit Jahren entbehrten Kostbarkeiten von Kokoschka, Wilhelm Thöny, Faistauer, Klimt, Schiele, Maurice de Vlaminck, Picasso, Chagall, Masereel, Henri de Toulouse-Lautrec, Marie Laurencin, James Ensor, Leibi, Liebermann. Slevogt, Corinth. Pechstein, Käthe Kollwitz, George Groß, Kubin und vielen anderen. Der Besuch dieser Ausstellung war ermutigend, und es' zeigte sich zur Überraschung der Veranstalter, daß die5moderne Kunst sehr viel mehr Liebhaber unter der heimischen Bevölkerung besitzt, als gefühlsmäßig angenommen werden konnte. Es darf vermerkt werden, daß Interessenten aus Linz und Salzburg nach Ried reisten, um an dem kulturellen Ereignis Anteil zu nehmen. Und sinnfälliger läßt sich kaum beweisen, daß zielstrebige provinzielle Kulturarbeit, trotz aller Bescheidenheit der verfügbaren Mittel, zu Ergebnissen führen kann, an denen selbst die benachbarten großen Städte nicht ignorierend vorübergehen. Doch mag diese Erscheinung Sonderfall bleiben und vor allem nicht zur bestimmenden

Absicht werden, denn es gilt j* m erster

Linie für die engere Heimat zu wirken. Die nachfolgende Ausstellung der I n n v i e r t-ler Galerie bot Holzschnitte von Margret Bilger und gewebte Bildteppiche ihrer Schwester Irmtraut Blum, die beide in' dem kleinen Dorf Taufkirchen an der Pram im Bezirk Schärding leben und schaffen. In der Gesinnung aus religiösem Urgrund gestaltend, gehen beide Künstlerinnen formal neue und eigenwillige Wege, so daß es wohl zu erwarten ist, daß ihre Werke in absehbarer Zeit in die großen Städte finden werden. Und auch darin liegt eine Aufgabe der heimischen Kulturpflege, der es nidit ausschließlich darum geht, die eigene Bevölkerung mit dem aus der großen (und ach so unerreichbaren) Welt der Hauptstädte und fremden Länder stammenden Geistesgut bekannt zu machen, sondern die willens ist und auch fähig sein wird, den heimischen schöpferischen Kräften Möglichkeiten zu breiterer Wirkung bis in die Hauptstadt zu erschließen. Daß gerade unser Innviertel schaffende Menschen hervorbringt oder anzieht, und festhält, läßt sidj mit einem schlichten Hinweis auf den guten Ruf der 1938 notgedrungen aut-gelösten Innviertier Künstlergilde belegen. Heute spüren wir wieder: Der Gildengeist ist nicht tot! Er ist sogar dabei, sidi den Körper neu zu bauen. In naher Zeit wird die Innviertier Künstlergilde wahrscheinlich Auferstehung feiern, so daß damit die Kulturschaffenden, Maler, Bildhauer, Ardiitektcn, Sdirift-steller und Komponisten, ihren eigenen bodenständigen Künstlerbund wieder besäßen.

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