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Veit Stoß in Salzburg

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Da drängen sich Menschenströme aus aller Welt in die herrliche alte Stadt und bewundern schönheitstrunken die glänzenden Edelsteine, die ihr Diadem zieren. Und da kommt ein Forscher, der einen vom Staub unkenntlich gewesenen Edelstein näher prüft und findet, daß er an Glanz, Schönheit und Bedeutung mit den wertvollsten wetteifern kann. In prächtigem Gewand wird nun das frühere Aschenbrödel teilnehmen an der Verkündigung des Ruhmes der Stadt und ihn mehren.

Es ist eigenartig, daß diese Auferstehung in das Jahr fällt, in dem Österreich durch großartige Ausstellungen in Wien und Genf, in Linz und in Innsbruck aller Welt als reiche, einzigartige Schatzkammer kirchlicher Kunst offenbar wurde.

Muß uns nun der Fund Heinrich Deckers in der Johannes-Kapelle des Benediktinerinnenstiftes Nonnberg nicht nachdenklich stimmen und fragen lassen, wie viele Schätze hohen Wertes noch unbekannt im Verborgenen unserer Heimat schlummern mögen? Die Neuentdeckung könnte ein Ruf sein, der zur begeisterten Kunstbetrachtung anregt und noch manche in stiller Versunkenheit dämmernde Kostbarkeiten zu neuem Leben weckt.

Der Verlag Rupertuswerk St. P e-t e r hat sich auch in dieser Richtung mit der Herausgabe des prächtig ausgestatteten Buches „Salzburger Flügelalt a r d e s V e i t S to ß“ gerade in der Herzen und Sinn für Kunsterlebnisse weit öffnenden Festspielzeit ein großes Verdienst erworben. Es liegt ein Buch vor uns, das den Zauber der Auferstehung eines bedeutenden Kunstwerkes und dieses selbst in Wort und Bild reizvoll vermittelt. Sinnvoll tiefe Ausführungen Dr. P. Raffelsbergers leiten es ein. Meisterhafte eigene Bilder begleiten den eindringlich spannenden Tex| des Verfassers.

Mit ehrfürchtigem Staunen erfährt der Leser, daß der mächtige Erzbischof Wolf Diettrich aus dem 1598 durch Brand beschädigten romanischen Münster den Benediktinerinnen auf dem Nonnberg fünf gotische Flügelaltare und mit anderen Schätzen auch den ergreifenden spätstaufischen Kruzifixus schenkte. Unter diesen Altären dürfte sich der neuentdeckte befunden haben. Als abenteuerliehe Überraschung erleben wir mit, wie bei seiner in den vergangenen zwei Jahren durchgeführten Restaurierung in der holzgeschnitzten Tasche des heiligen Josef eine Aufschrift mit der Jahreszahl 1 4 9 8 und dem Zusätze „RENO-VATIO 1601“ aufgefunden wurde. Die Richtigkeit dieser Daten wird durch die wissenschaftlichen Untersuchungen Deckers bestätigt. Naturgemäß mußte es der Verfasser als seine wichtigste Aufgabe ansehen, die Herkunft des Altars zu ergründen und den Meister der lebensgroßen Schreingruppe (Heilige Nacht) wie der Flügelreliefs (links Verkündi-

36 Meisterlichtbilder in Kupfertiefdruck, 3 Textzeichnungen, 32 Seiten Text, Format 21 X26cm, Halbleinen, S 33.—, gung und Anbetung der Könige, rechts Erscheinung des verklärten Heilandes vor seiner Mutter und Marientod) zu finden. Bei der Prüfung der Herkunft wird di-: vom Chronisten Steinhauer um 1610 übermittelte Tatsache erwähnt, daß die Pilgrim-Kapelle des alten Doms vor 1599 in drangvoller Enge sechs Altäre beherbergte. Decker nimmt aber an, daß unser Altar aus der Grabkapelle des Erz-bischofs Leonhard von Keutschach stammt, wo er, wie Kaiser Maximilian dem Bischof Georg von Speyer schreibt, vor dem „köstlich groß und künstlich gehauenen Grabstein“ stand, der von Hans Valkenauer geschaffen wurde.

Die Frage nach dem Meister sucht der Verfasser aus dem Stil, dem Geist und der Form der Plastiken zu lösen. Der herbe Ernst des Ausdruckes, die tiefgeprägte Charakteristik, die naturwahre Gestaltung der frei sich bewegenden sockellosen Schreinfiguren unterscheide diese-eindeutig von der altsalzburgischen und altbayrischen Altarplastik um 1500 und weise sie dem Bereiche der Kunst Nürnbergs zu. Ebenso gelungen wie diese Feststellung erscheint die psychische Auslegung der Plastiken, daß sich nämlich ein eigenwilliges, unruhiges Künstlertemperament in ihnen spiegle, das in Komposition und Einzelbildungen von Körper und Gewand Extreme suche. Sie zeigen sich in der Differenzierung der ausdrucksvollen Köpfe und Gebärden. Auf den ersten Blick fällt die knittrige, bauschige Faltenbildung auf mit ihrem Geschiebe, den kühnen Säumen und Uberschlägen und doch das Hervortreten der blanken Körperform. Neben

Extremen treten kennzeichnendeZüge aufschlußreich vor uns. so zum Beispiel an der Maria des Schreines der kleine, enggeschlossene Mund mit den eingetieften Winkeln, das knöpfchenhafte, grübchenverzierte Kinn, die schräggestellten und wellenförmig geschwungenen Augenlider. An den Gesichtstypen der Männer unter anderem die hervorstechende plastische Bildung der Augenbrauen. Solche Merkmale weisen auf den großen Bildhauer der Dürer-Zeit, den Nürnberger Meister Veit Stoß, hin. Der Verfasser schürft aber noch tiefer, um schließlieh auf Grund der weiteren Vergleiche mit gesicherten Werken des Veit Stoß, als Bildhauer wie als Graphiker, nachzuweisen, daß und wie sich eine Eingliederung des Altars in das Leben des Meisters ergibt.

Decker kommt zum wohlbegründeten Schlüsse, daß die köstliche Schreingruppe nach dem eigenen Entwürfe des Meisters uhd größtenteils von seiner Hand geschnitzt wurde, daß aber sein schöpferischer Anteil an den Reliefs geringer war und in der Reihenfolge ihrer Entstehung immer mehr schwand.

Einen besonderen Gewinn geben uns noch die Betrachtungen des Verfassers über die Beziehungen Salzburgs zu Nürnberg; sie lassen in ihrer. Anschaulichkeit die Kunst des späten Mittelalters in ihren Zusammenhängen vor uns erstehen.

Veit Stoßens Werk auf dem' Nonnberg Salzburgs wird in seiner Schönheit unzählige Besucher anziehen und erfreuen, ihnen erhebend zeigen, wie ein von göttlichem Odem erfülltes Menschenbild von innen zu leuchten vermag.

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