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Der Filmkritiker:

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Modern war vor 50 Jahren jener abgerissene, gerissene kleine Geschäftsmann, der in Amerika mit dem Bleistift in der Hand eine Stunde lang die Besucher einer dieser neuartigen Kinobuden notierte und auf dieser Zahl seine phantastische Karriere aufbaute, die ihn in fünf Jahren zum Millionär machte.

Modern war vor 30 Jahren jener kluge östliche Ideologe Bela Balacs, der auf dem Höhepunkt des Stummfilms die Fahne eines berückenden Idealismus entrollte und an der Pforte des säkularisierten Tempels die These anschlug: „Der sichtbare Mensch“ ist da. Der Mensch hat die verschollene Sprache der Mimik und Gestik wiederentdeckt. Nicht das große Geschäft; nein, eine neue Kunst: der Film ist da.

Modern sind alle jene vielen, die seither die kühne These Bela Balacs' und den Stummfilm vergessen haben und mit fliegenden Fahnen ins Lager des Tonfilms, dann des Farbfilms, dann des Breitwand- und Stereotonfilms übergegangen

sind, wo Kunst greifbar nicht mehr zuhause ist.

Aber, im Ernst. Der Film scheint das Moderne, das moderne Ding an sich zu sein. Er fließt so rasch, daß die meisten Filme nach zehn Jahren nicht mehr zu ertragen sind. Man ist daher, glaube ich, selber dann modern, wenn man dem Phänomen bei aller Liebe nicht kritiklos und süchtig verfällt, sondern es kritisch betrachtet und beurteilt. Das schließt nicht aus, ihm eine große Zukunft vorauszusagen, eine andere freilich, als die meisten von ihm heute erwarten. Bis dorthin muß der Film durch eine unübersehbare Reihe unheilvoller Mißverständnisse und Verkennungen hindurch, muß sich überfordern und unterbewerten lassen, muß sich mit Kunst verwechseln lassen (was beiden nicht zur Ehre, mindestens nicht zum Vorteil ge-

reicht), obwohl er nicht weniger, aber ganz, ganz anders ist: eine neue, gänzlich neue, die erste technische (moderne!) Art, das Leben darzustellen.

Das Leben liegt auf einer bestimmten Ebene. Die Kunst auf einer hohen anderen Ebene darüber. Und dazwischen liegt — wieder auf einer anderen Ebene: der Film!

Von der pseudokünstlerischen Nachäffungs-periode des Spielfilms nichts, von der Zukunft des Dokumentarfilms alles zu erhoffen, ist daher zukunftsfreudig, vielversprechend — modern!

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