Aftersun.jp - © Stadtkino

„Aftersun“: Ein Bild, das tief berührt

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Charlotte Wells’ Debütfilm „Aftersun“ erzählt von der komplexen Beziehung eines jungen Vaters und seiner elfjährigen Tochter.

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Charlotte Wells’ Debütfilm „Aftersun“ erzählt von der komplexen Beziehung eines jungen Vaters und seiner elfjährigen Tochter.

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In einer frühen Szene im Spielfilmdebüt „Aftersun“ der 35-jährigen schottischen Regisseurin Charlotte Wells wird man eingeweiht: In einem Sommer Ende der 1990er Jahre hat der junge Calum (Paul Mescal) mit seiner elfjährigen Tochter Sophie (Frankie Corio) gerade das Hotelzimmer in einem All-inclusive-Resort in der Türkei bezogen.

Als sie schläft, schaut man nicht mehr durch die wackelige, neue DV-Sony-Handkamera, mit der Sophie den Urlaub dokumentieren will, sondern durch die „emotional autobiografische Erinnerung“, von der Wells hier erzählt. Sophies Vater steht auf dem Balkon, um eine zu rauchen, und beginnt zu tanzen. Man sieht ihn über die schlafende Sophie hinweg durch die geschlossene Tür lautlos in der Abenddämmerung, seine fließenden Bewegungen wie ein Ventil, und man weiß wieder: Es ist ein großes Paradoxon, dass die unvergleichliche Intimität in Eltern-Kind-Beziehungen nicht damit einhergeht, dass man einander tatsächlich gut kennt.

Als Kind kann man mit jedem einzelnen Muttermal auf dem Körper des Vaters vertraut sein, ohne je überhaupt zu ahnen, was wirklich in ihm vor sich ging, als man zum Beispiel harmonische, sonnengetränkte Urlaubstage am Pool, bei Ausflügen zu Sehenswürdigkeiten, beim abendlichen Karaoke verbracht hat.

Weil sie gut im Billard ist, findet Sophie Anschluss an eine Gruppe älterer Teenager, und in der Spielhalle freundet sie sich so weit mit einem Jungen ihres Alters an, dass es für den ersten Kuss reichen wird. Calum praktiziert Tai Chi, von dem er denkt, es könne ihm helfen, seine Depressionen in den Griff zu bekommen, statt immer wieder umgekehrt. Von dieser Schattenseite bekommt die elfjährige Sophie nichts mit, aber die erwachsene spult die Bilder jenes Urlaubs auf ihrem Projektor und in ihrem Kopf immer wieder ab, und es ist die Diskrepanz, die zum Erlebten entstehen kann, sobald man sich daran erinnert, wovon „Aftersun“ vor allem handelt.

Mit Kameramann Gregory Oke findet Wells für Sophies Versuch, ihren Vater im Nachhinein zu begreifen, farbensatte Bilder ebenso wie Einstellungen, in die sich eine undefinierbare Dunkelheit zu schleichen scheint. Wells bemerkenswerte Empathie für beide Hauptfiguren und die natürliche, außerordentliche darstellerische Leistung von sowohl Corio als auch Mescal (zwischen brodelnder Männlichkeit und unverstellter Sensibilität) erzeugen in „Aftersun“ einen so rhythmischen wie subtilen Perspektivenwechsel und schließlich ein Bild, das tief berührt.

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