Lokführer - © Thimfilm

Aserbaidschan – ohne Worte

Werbung
Werbung
Werbung

Das Leben von Lokführer Nurlan (Miki Manojlović) in Veit Helmers neuem Film „Vom Lokführer, der die Liebe suchte ...“ scheint karg, aber bestimmt von absoluter Schönheit. Am bemerkenswertesten die riesige, wunderbare, grüne Kohlelok, mit der er seit Jahrzehnten tagtäglich, einen schier endlos langen Lastenzug aus rostigen Waggons hinter sich herziehend, quer durch die atemberaubende Landschaft Aserbaidschans rollt. Weite Täler, imposante Gebirgszüge, Schatten und sonnengetränktes Licht. Immer donnert der Zug aber auch mitten durch ein bestimmtes Viertel der Hauptstadt Baku hindurch. Dort sind die Häuser so eng an die Schienen gebaut, dass die Menschen dazwischen Karten spielen, essen, ihre Wäscheleinen drüber spannen. Jedesmal, wenn das Weichensignal ertönt, beginnt deshalb ein kleiner Junge die Strecke im Dorf abzulaufen, um die Leute zu warnen, die Gleise zu räumen. Im echten Leben ist das Viertel mittlerweile abgerissen. Helmers Film aber hält in einer nostalgischen, stark romantisierenden Erinnerung inne. Das ist gut gemeint und gut gemacht, birgt aber auch große Ambivalenz.

Wie schon in Helmers Debüt „Tuvalu“ (1999) wird hier kein Wort gesprochen. Der grandiose Denis Lavant, der den Heizer Kamal spielt, wirkt als wundervoller Unterstützer in der melancholischen Erzählung vom Einsamsein und vom Damitzurechtkommen. Helmer hat teils auf Film gedreht und digitales Material in analogem Look kombiniert: Gewollte Patina bestimmt die eindrucksvollen Breitwand-Bilder – eine traumwandlerische Atmosphäre. Durchdrungen wird das immer wieder von Aufnahmen schöner Frauen, die in Kopftüchern und bunten Röcken mit kleinen, weißen Lämmchen auf sattgrünen Wiesen tollen oder auf langen, schlanken Beinen über die Gleise hüpfen oder mit geboten schüchternem Augenaufschlag gerade noch ihre Büstenhalter von der Leine zupfen können, bevor Nurlans Lok sie mitreißt. Moment. Alle Büstenhalter? Nein, nicht alle.

Ausgerechnet an seinem letzten Tag im Dienst bleibt ein blauer BH am Lokfenster hängen. Gewissenhaft, wie Nurlan ist, will er ihn zurückbringen. Wem aber gehört das Ding? Wer jetzt denkt, Nurlan würde die ganze Zugstrecke abgehen und jede Frau, die er trifft, in einer Art Tittenparade den Büstenhalter anprobieren lassen – hat recht. Ja, das ist eine verkehrte Cinderella-Geschichte und ja, Nurlan findet schließlich zur Erkenntnis über die Liebe – ganz ohne Frau. Aber bis dahin ist dies auch ein wenig ein Film für alle, die sich gerne über „die vielen unsinnigen Verbote der Neuzeit“ aufregen. Nurlan darf den Frauen nicht wirklich (zu oft) an die Brüste greifen. Dazu ist er zu keusch – und zu eingeschüchtert von den grimmig dreinblickenden Schlägertypen, die stets irgendwo im Hintergrund stehen. Zum Fürchten sind die schwer klischeebeladenen Rollen- und Weiblichkeitsbilder und ist die sehr naiv wirkende Sozialromantik in Helmers Film aber nicht – mehr. Soviel Fortschrittsglaube darf sein.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung