Warum ich euch nicht in die Augen schaue - © Foto: Polyfilm

Die Welt aus Sicht eines jungen Autisten

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Jerry Rothwell visualisiert in seinem Film das, was im Kopf eines dreizehnjährigen Autisten vor sich geht. Heidi Strobel über den Film "Warum ich euch nicht in die Augen schauen kann".

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Jerry Rothwell visualisiert in seinem Film das, was im Kopf eines dreizehnjährigen Autisten vor sich geht. Heidi Strobel über den Film "Warum ich euch nicht in die Augen schauen kann".

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Sich über Sprache mitteilen zu können, ist für die meisten Menschen eine selbstverständliche Realität. Für viele autistische Menschen gilt das jedoch nicht. In deren Welt taucht Jerry Rothwell ein. Dabei stützt sich sein Dokumentarfilm auf das gleichnamige Buch von Naoki Higashida. Der damals dreizehnjährige Teenager klärte in Frageform darüber auf, „was im Kopf autistischer Menschen vor sich geht“.

Rothwell ist es geglückt, für Higashidas Buch eine expressive Form zu finden. Das war sicherlich kein einfaches Unterfangen, zumal der Autor im Film nur durch seinen Text zugegen sein wollte. Um dessen Erleben Ausdruck zu verleihen, lässt Rothwell einen Knaben als Alter Ego durch menschenleere, teils wüste Landschaften wandern, während fünf Protagonisten aus Indien, Großbritannien, USA und Afrika der „mysteriösen“ Welt des Autismus ein individuelles Gesicht verleihen. Begleitet werden sie von einer Off-Stimme, die ausgewählte Stellen des Buches spricht.

Nachdrücklich führt der Film vor, wie befreiend es für die jungen Menschen ist, Mittel für ihren Selbstausdruck zu finden. So hält die Künstlerin Amrit, was ihr täglich widerfährt, in bunten, linienstarken Bildern fest, während Emma und Ben über eine Buchstabentafel kommunizieren. Der Film übersetzt die besondere Art ihrer Wahrnehmung, die Bedeutung wiederholter Handlungen äußerst plastisch, so dass deren Schönheit, aber auch bedrohliche Seiten erlebbar werden.

Allerdings gerät die emanzipatorische Botschaft des Films dann doch zu undifferenziert und tendenziös. Historische, eugenische O-Töne machen einer modernen Wissenschaft den Garaus, als hätte sie seitdem keine Einsichten zur Unterstützung autistischer Menschen hervorgebracht. Und wenn der Film als Gegenpart die Gruppe „neurotypischer“ Menschen identifiziert, verfängt er sich in genau der Falle, gegen die er angeht. Er macht sie zum „Anderen“, das stereotyp abgewertet wird.

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