Heimat - © Filmgarten

Die Wucht des Assoziativen

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Am Ende von Thomas Heises „Heimat ist ein Raum aus Zeit“ liegt es da, das „aufgedröselte deutsche Knäuel“, wie es in diesem mächtigen dokumentarischen Opus einmal genannt wird. In dreieinhalb Stunden, keine Minute davon verschenkt, und fünf Kapiteln entwickelt der Filmemacher seine Familiengeschichte zwischen den Jahren 1912 und 2014, zwischen Kaiserreich und wiedervereintem Deutschland. Nie soll das im Sinne einer Vollständigkeit geschehen. Es sind vielmehr Fragmente von Freude und Liebe, Sorgen und Angst im Wechsel der his­torischen Verhältnisse.

Oder vom Wandel der Worte, die dafür gefunden werden. Heises Vater Wolfgang etwa, später einer der bedeutendsten Philosophen der DDR, versucht es für seine Situation im Zwangsarbeiterlager Anfang 1945, indem er Rilke zitiert: „Das Schöne ist nichts als der Anfang des Schrecklichen“. Die von Heise aus dem „Off“ vorgelesenen Korrespondenzen, Aufsätze und Dokumente verleihen seinen an sich unscheinbaren Gegenwartsaufnahmen erst Bedeutung. Er zeigt Brachen, Zwischenorte, alltägliche urbane Aufnahmen. Ein Paar verabschiedet sich an der S-Bahn: Wären das einst die Großeltern gewesen? Eine nachgenutzte Kaserne: Hatte er dort seinen Dienst in der Nationalen Volksarmee abzuleis­ten? Die Verbindung von Bild- und Ton­ebene ist selten offensichtlich – und beklemmend, wenn es der Fall ist. Umso mehr zeigt sich die Wucht des Assoziativen. Oft richtet „Heimat ist ein Raum aus Zeit“ den Blick auf Geleise; am Ende rollt darauf der Ausländerhass. Heise hat einen Ausnahmefilm geschaffen, der problemlos das Individuum mit der großen Geschichte verbindet – einen Film als bemerkenswerten Schlüssel zu deren Verständnis.

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