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Eine Epiphanie fremder Kulturen

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Abgestoßen von der mitteleuropäischen Kultur, die alles Schreckliche zum Tabu macht, bricht Julia Quaerens aus ihren gewohnten Bahnen aus.

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Abgestoßen von der mitteleuropäischen Kultur, die alles Schreckliche zum Tabu macht, bricht Julia Quaerens aus ihren gewohnten Bahnen aus.

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Die Protagonistin in Inge Merkels neuem Roman heißt Quaerens, und „jeder, der zeigen wollte, daß er sein Latein beherrschte, merkte an, daß ,quaerens’ suchend heiße".

Von einem mexikanischen Webteppich, der eine Marktszene mit Figuren zeigt, die statt Gesichtern Totenköpfe tragen, läßt sich die Heldin in sein Herkunftsland entführen. Kurz darauf ist sie auch schon Mitglied einer Reisegruppe, die eine Studiemeise nach Mexiko unternimmt.

Frauen, die vor Eifersucht „versteinern", Kinder, die auch als Räuber noch freundhch erscheinen, Gläubige, die Hexen aufsuchen, sind in diesem Land nichts Ungewöhnliches, doch geschieht alles unter der Maske vornehmer Zurückhaltung, auch der ausgelassenste Tanz. Und mit dieser hält sich auch die Erzählerin bedeckt, die jedes Detail genau kalkuHert.

Als eine die auszog, den Tod keimenzulemen, erspart sich die Quaerens auch die grausamen An-bhcke Mumifizierter nicht, die, in einem Museum in Mexiko ausgestellt, von den Einheimischen mit einer Selbstverständhchkeit besichtigt werden, die die Reisenden aus Europa nur noch mehr erschaudern läßt.

So scheint das Geschehen einzig dem Vergleich mexikanischen Kults mit mitteleuropäischer Kultur zu unterliegen. Den Höhepunkt erreicht dies in der Schmährede eines Reisenden, der dafür vom einheimischen Reiseführer „chinguiert", das heißt übertragen, deim Ubersetzung gibt es für dieses mexikanische Wort nicht, gedemütigt wird.

Erhellend wirken die Beschreibungen der Mitreisenden durch die Protagonistin, die, gut ausgesucht, einen Querschnitt der öster-

reichischen Bevölkerung geben, von der älteren Studienrätin bis zur jungen attraktiven Friseurin.

Als gegen Ende der Reise der erfahrene Kommerzialrat Her-schel feststellt: „International sind weltweit die bildungsmäßig Unbeleckten", erkermt die Heldin endlich, daß sie auch ihre Kultur neu zu entdecken hat.

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