Traditionen sind eine zwiespältige Hinterlassenschaft. Huldigt man ihnen wie einem Götzen, können sie eine ganze Sippe vernichten. In dieser mythischen Familientragödie beginnt das Verhängnis mit einem Brautpreis. Rapayet hat sich Zaida, eine Frau aus einer angesehenen Familie des nordkolumbianischen Volkes der Wayuu, zur Braut ausersehen. Um das Brautgeld aufbringen zu können, steigt er in den Marihuanahandel mit US-Hippies ein. Durch seine Geschäftstüchtigkeit etabliert er die angeheiratete Sippe schließlich als mächtigen Drogenclan, wenngleich er sich selbst damit unter die Knute von Familie und Tradition begibt, die ihn Schwiegermutter Úrsula spüren lässt. Als sie ihn zur Selbstjustiz drängt, zerbricht Rapayet an der Schuld, seinen besten Freund getötet zu haben.
Ciro Guerra und Cristina Gallego setzen das Aufblühen des kolumbianischen Drogenhandels ab Ende der 1960er Jahre ins Bild. Der prägt die Gesellschaft bis heute. So muss man "Birds of Passage" auch als kritischen Kommentar zur aktuellen Situation lesen. Virtuos mischen Guerra und Gallego verschiedene Stile. Gerahmt haben sie ihren Film als balladenhafte Moritat. In warnender Absicht erzählt uns ein bejahrter Schäfer in fünf Gesängen von Liebe, von Herrschaft und Verbrechen, vom Untergang einer Familie, aber ohne das Geschehen in rührselige oder reißerische Bilder zu verpacken.
Stattdessen erreicht der Film die tragische Größe eines Shakespeare'schen "Macbeth", Träume und fantastische Elemente verleihen ihm Poesie und einen verfremdenden Zauber. Da fühlt sich der junge Protagonist zu Großem berufen, endet jedoch einsam und geistig verwirrt wieder in einer Hütte, angestiftet durch seinen Widerpart, die tyrannische Schwiegermutter Úrsula, die sich mit dem Numinosen verbunden glaubt.
Die Geschichte des mafiösen Clans verschmilzt das Regie-Duo meisterhaft mit Elementen des ethnographischen Kinos. Es entsteht ein differenziertes Bild von Tradition, die mit dem Begehren des Einzelnen und der Logik der kapitalistischen Marktgesellschaft eine unheilvolle Allianz eingehen kann.
Birds of Passage -Das grüne Gold der Wayuu (Pájaros de Verano) CO/DK/MEX 2018. Regie: Ciro Guerra, Cristina Gallego. Mit Carmiña Martínez. Polyfilm. 125 Min.
