Ersatzmutter - © Constantin

Ersatzmutter. Ersatztochter.

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Schon einmal hat sich der irische Regisseur Neil Jordan mit den Nöten erwachsen werdender Mädchen beschäftigt. In seinem Film „Die Zeit der Wölfe“ nutzte er auf brillante Weise Horror und Märchenmotive, um die sexuellen Wünsche und Angstfantasien einer 13-Jährigen zu bebildern. In „Greta“ nun nimmt er einen Abnabelungsprozess von Mutter und Tochter unter die Lupe. So steht Jordans Protagonistin Frances, überzeugend gespielt von Chloë Grace Moretz, bereits auf eigenen Füßen. Die junge Frau arbeitet als Kellnerin in einem New Yorker Restaurant und teilt sich mit ihrer Freundin Erica ein großzügiges Loft. Eines Tages findet sie in der U-Bahn eine offensichtlich teure Handtasche. Ehrlich, wie sie ist, überbringt sie diese deren Besitzerin.


Diese ist Greta Hideg, dargestellt von Isabelle Huppert. Sogleich wird Frances auf einen Kaffee hereingebeten und mit Einzelheiten aus Gretas Privatleben überschüttet. Schon mit der ers­ten Szene hat die Montage eine Verbindung zwischen beiden geschaffen, später werden musikalisch mit Franz Liszts „Liebestraum“ die träumerischen, unbeschwerten und trostlosen Seiten ihrer Liebe beschworen.
Beide Frauen haben schwerwiegende Verluste zu betrauern. Gretas Mann ist tot, ihre Tochter aus dem Haus. Frances Mutter starb vor einem Jahr; bis heute ist die junge Frau nicht über deren Tod hinweggekommen. Sie lässt sich von der kultivierten Frau vereinnahmen, bricht aber abrupt die Beziehung ab, als sie feststellen muss, dass die verlorene Handtasche nur eine Masche zur Beziehungsanbahnung war.

So kann eine enttäuschte Mutterliebe zäh wie Kaugummi kleben. Neil Jordan kleidet die Facetten ihrer negativen Aspekte in starke, beängstigende Bilde


Aber Greta lässt die junge Frau nicht mehr ihrer Wege ziehen, sondern fordert eine Beziehung mit immer rabiateren Methoden ein, verfolgt sie unerbittlich.
Jordan weiß die Elemente des Psychothrillers und des Horrorfilms eindringlich und mit psychologischer Raffinesse zu nutzen, wenngleich das Drehbuch die Entwicklung der Protagonistin nicht schlüssig und mit Tiefgang entfaltet. Frances hat es nicht geschafft, sich von ihrer Mutter innerlich zu lösen, sie sucht nach einem einfühlsamen und liebevollen Ersatzobjekt. Für Greta wird sie durch ihre Bedürftigkeit zu einer leichten Beute. Kritisch sieht der Film in diesem Zusammenhang die Rolle der neuen Medien.
Die sozialen Netzwerke, in denen sich Frances allzu offenherzig präsentiert, erleichtern Greta das „Stalken“, lassen sie Frances Privatsphäre mühelos ausspionieren. Die Kamera imitiert dieses invasorische Prinzip. Sie verschafft sich Zugang zu den Innenräumen, gleitet autonom umher, nimmt ins Visier. Und wenn zur Steigerung der Spannung immer mal wieder mit den Erwartungen des Publikums gespielt wird, erfährt dies manipulative Praktiken am eigenen Leib.


So kann eine enttäuschte Mutterliebe zäh wie Kaugummi kleben, jeden Entwicklungsschritt hemmen. Jordan kleidet die Facetten ihrer negativen Aspekte in starke, beängstigende Bilder, er knüpft damit an Filme wie Jennifer Kents „Der Babadook“ an. Nachdem Greta von Frances verlassen wird, steht sie mahnend vor dem Restaurant wie eine ägyptische Totengöttin oder mutiert zu einer unheimlichen Verfolgerin, um Frances eine Szene wie ein trotziges Kind zu machen, sie als unbarmherzige Lehrmeisterin zu traktieren. Isabelle Huppert weiß diese dunklen, grotesken Seiten einer Mutterliebe eindrucksvoll zu verkörpern. Man kann Jordans Film im freudianischen Sinn als Angebot zur Durcharbeitung deuten. In der Begegnung mit Greta durchlebt die Heldin ihren adoleszenten Konflikt erneut. Erst mit Hilfe ihrer Freundin gelingt es ihr, sich zu befreien.

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